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Kardinal Philippe Barbarin steht stark unter Druck.

Foto: Reuters/Robert Pratta

Philippe Barbarin ist so etwas wie der höchste Würdenträger der französischen Geistlichen: Der 65-jährige Erzbischof von Lyon trägt zugleich den aus dem Mittelalter stammenden Titel Primas von Gallien. In Frankreich ist er als "Bischof 100.000 Volt" bekannt, da er ebenso schnell zu reden wie zu agieren versteht.

In einer Hinsicht soll er aber sehr langsam oder gar nicht gehandelt haben. Barbarin wird vorgehalten, pädophile Priester in seiner Diözese allzu lange gedeckt zu haben. Ein Kirchenmann soll zwischen 1986 und 1991 mehrere Pfadfinder sexuell missbraucht haben. Viele der Opfer verstehen nicht, warum er erst im Sommer 2015 seines Amtes enthoben wurde – ist er doch geständig. Zu Beginn dieses Jahres wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den 55-jährigen Priester eröffnet. Danach eröffnete die französische Justiz ein Vorverfahren wegen des Nichtanzeigens sexueller Angriffe auf Minderjährige. Die Ermittlungen betreffen die Diözese von Lyon und insofern auch den Erzbischof.

Barbarin erklärte zu Wochenbeginn bei einer Pressekonferenz in Lourdes, er habe "nie pädophile Akte gedeckt". Er musste aber einräumen, dass er seit 2007 von den Vorwürfen gegen den fehlbaren Geistlichen wusste. Daraufhin erklärte Premier Manuel Valls, er erwarte von Barbarin, dass er "endlich seine Verantwortung" wahrnehme. Das kann nur seinen Rücktritt bedeuten. Valls erwarte nicht nur Worte, sondern auch Taten.

Weiterer Kirchenskandal

Fast gleichzeitig wurde diese Woche ein weiterer Kirchenskandal bekannt, in den Barbarin verwickelt sein könnte. Der Kardinal soll einen Priester im Amt belassen haben, obwohl er wusste, dass dem Untergebenen der sexuelle Missbrauch eines damals 16-jährigen Jugendlichen vorgeworfen wird. Der heute 42 Jahre alte Kläger, ein Spitzenbeamter, der in französischen Medien mit seinem Vornamen Pierre auftritt, berichtete, ein Pfarrer habe 1990 in den Ferien im südwestfranzösischen Biarritz auf ihn masturbiert. Vergeblich hatte das Opfer versucht, Klage einzureichen – die Vorwürfe waren bereits verjährt. Als er sich an Barbarin wandte, antwortete ihm dieser, er wisse um den Fall. Dann geschah aber nichts mehr, bis vor wenigen Tagen, als Pierre Klage gegen Barbarin selbst wegen "Gefährdung" einreichte. Barbarin behauptet nun, er habe im Vatikan um Rat gefragt und den Priester danach sofort suspendiert.

Die Regierung hält den Druck auf Barbarin indessen aufrecht: Am Donnerstag verlangte Staatssekretärin Juliette Méadel direkt seinen Rücktritt. "Nicht in der Lage zu sein, um Verzeihung zu bitten, ist nicht sehr christlich", sagte die für Opferfälle Zuständige im Radio. Barbarins Anwalt meinte, die Affäre werde "politisiert". Barbarin ist in Frankreich auch bekannt dafür, gegen die von Präsident François Hollande propagierte und eingeführte Homo-Ehe aufgetreten zu sein. (Stefan Brändle aus Paris, 18.3.2016)