Was bildet sich Angela Merkel eigentlich ein, einfach weiterzumachen wie in den letzten Monaten, wenn Werner Faymann ein Ende des Durchwinkens anordnet? Offenbar will sie nicht begreifen, dass in der Flüchtlingsfrage die Musik in Wien spielt, seit die österreichische Regierung die Grenze zum Balkan vom Rennweg auf den Ballhausplatz verschoben hat. Das Land ist endlich dort angekommen, wo es hingehört, und leicht war es nicht, es dorthin zu bringen. Der Bundeskanzler hat keine Mühe gescheut, sich erkenntnismäßig auf den Stand von H.-C. Strache emporzuarbeiten, aber Innen- und Außenminister haben geholfen. Ihn würde es stören, orakelte er im Zentrum, "wenn die Regierung nicht an einem Strang ziehen würde", sei es auch nur in dieser einen Frage und würde mit diesem Strang auch jede – natürlich falsch verstandene – humane Regung abgewürgt.
Denn Österreich hat genug getan, es hat sich mit 90.000 freigekauft und damit selbst ermächtigt, dem Rest Europas vorzuschreiben, was wo zu geschehen hat. Seine Regierung hat das humanitäre Anliegen hoher Grenzzäune mit dem politischen, von niedrigen Instinkten zu profitieren, kühn realisiert, doch noch immer gibt es Nörgler, allen voran die deutsche Kanzlerin, die das darin liegende Potenzial zur Lösung der Flüchtlingsproblematik nicht erkennen wollen. Der traurige Dackelblick, den der Außenminister auf dem Elend von Idomeni ruhen lässt, verklärt sich rasch, wenn er als Remedium ein Europa der Grenzen propagiert.
Ein christliches Europa selbstverständlich, auch wenn die für das Christentum professionell Zuständigen mit dem grassierenden Lopatka-Modell wenig anfangen können. So ernst nimmt die Regierung ihre pädagogische Sendung, dass sie Missionare ausschickt, das Evangelium des Grenzzauns überall zu verkünden, wo noch keiner steht. Einer Sympathieträgerin wie Mikl-Leitner, deren Charme schon in Hollabrunn und Umgebung niemand widerstehen kann, und dem ihr vom Bundeskanzler beigegebenen Ministranten Doskozil werden Bulgaren nur schwer etwas abschlagen können, was das Abendland vor dem Untergang bewahren kann – wie eben österreichisches Know-how.
Von diesem Schatz könnten alle profitieren, die Griechen, die gerüffelt sind, sich endlich am Riemen zu reißen, die Italiener mit der Ermahnung, gefälligst nicht via Brenner an unserer Obergrenze zu rütteln, und natürlich die deutsche Kanzlerin. Faymann hat lange versucht, ihr gut zuzureden. Sogar beim "Wir schaffen das" war er anfänglich dabei, nur hat man in Berlin nicht verstanden, dass er schon damals die Errichtung von Grenzzäunen mentalreserviert hatte – Ehrenwort, er war der Erste, auch wenn Strache den Ruhm jetzt für sich beansprucht.
Rückblickend muss sich die österreichische Regierung den Vorwurf gefallen lassen, mit Europa, allen voran mit Angela Merkel, von Anfang an nicht streng genug gewesen zu sein. Das Rohrstaberl gilt derzeit als unpädagogisch, aber hätte man ihr gleich einen österreichischen Wertekurs aufgegeben, müsste Faymann jetzt nicht darauf bestehen, auch Deutschland brauche einen Richtwert. Merk's Europa: Wahrheit wohnt in Wien. (Günter Traxler, 17.3.2016)