Zum Beispiel nach Operationen kann Psysiotherapie bei der Regeneration helfen.

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Menschen sind ihrer Anlage nach Bewegungstiere – und wehe, wenn irgendetwas im Körper nicht mehr schmerzfrei funktioniert. Es gibt Knackpunkte im wahrsten Sinne des Wortes: Knie, Hüfte, Schulter. Bei Verletzungen oder Abnutzungserscheinungen ist eine Operation immer nur ein Anfang. Wer seine volle Beweglichkeit zurückwill, kommt ohne Physiotherapie kaum aus. "Es gibt jede Menge wissenschaftliche Evidenz über die Wirksamkeit aktivierender Therapie", sagt Sylvia Meriaux-Kratochvila, Präsidentin des Berufsverbandes Physio Austria. Der Berufsstand feiert heuer sein 100-jähriges Bestehen und ist stolz, fix im System etabliert zu sein. Operationen vorbeugen, Medikamente reduzieren, Arbeitsfähigkeit erhalten: Mit einer fundierten Kenntnis des Bewegungsapparats und gezielten Übungen ist das möglich.

100 Jahre

1916 wurde in Wien die erste staatliche Ausbildungsstätte am Kaiser-Jubiläums-Spital (Krankenhaus Hietzing) gegründet, heute sind in Österreich rund 8.000 Frauen und Männer in diesem Beruf tätig. Zum Großteil im Krankenhaus. "Im Zuge der Gesundheitsreform werden Patienten immer rascher aus dem Spital entlassen, außerhalb wird die Physiotherapie allerdings nicht von den Krankenkassen bezahlt", macht Meriaux-Kratochvila aufmerksam. Was sie befürchtet: Nur mehr Patienten, die über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügen, haben die Möglichkeit, ihre Bewegungsfähigkeit durch den Einsatz physiotherapeutischer Methoden zurückzugewinnen. Eine Portion Eigeninitiative vorausgesetzt.

Neu lernen

"Es geht darum, neue Muster einzuüben, andere Muskelgruppen zu aktivieren, mitunter braucht es intensive und langfristige Betreuung, um die Lernpotenziale auszuschöpfen", sagt Meriaux-Kratochvila und nennt die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten als Beispiel dafür, wie Menschen auch nach schweren Gehirnschäden wieder lernen können, selbstständig zu leben. "Das geht nicht in ein paar Wochen", sagt sie nachdrücklich und betont die Wichtigkeit der individuellen Betreuung. Eine Stunde Physiotherapie kostet zwischen 60 und 90 Euro. Abhängig vom Bundesland und der Krankenkasse werden Zuschüsse zwischen einem Drittel und der Hälfte der Kosten gewährt, die wenigsten könnten sich aber solche Summen langfristig leisten, weiß sie aus Erfahrung.

Wie vieles in Österreichs Gesundheitssystem sind die Ursachen für diesen Missstand höchst komplex und haben ursächlich mit der Ausbildung der Physiotherapeuten zu tun. Während bei anderen Gesundheitsberufen wie der Ergotherapie die Ausbildung im Rahmen eines Bachelorstudiums vom Bund finanziert wird, ist das Masterstudium für Physiotherapie Ländersache.

Bund versus Länder

Die Spitäler in den Bundesländern brauchen Physiotherapie und bilden die Spezialisten selbst aus. Der Bund will daran nichts ändern. Allerdings sehen sich die Krankenhäuser nicht für die Forschung zuständig, die im Rahmen einer Ausbildungsstätte gegeben wäre. "Das Wissenschaftsministerium verweist uns auf die Länder und vice versa", beschreibt Meriaux-Kratochvila die Situation. "Wir hängen mit der Finanzierung", sagt sie, und die Leidtragenden seien die Patienten, die Physiotherapie brauchen.

Zum Beispiel jene älteren Menschen, die aufgrund von Abnützungserscheinungen neue Knie- und Hüftgelenke bekommen – eine Zahl, die in Österreich stetig steigt. Oder Menschen mit Schulterverletzungen: "Ohne Physiotherapie können sie unter Umständen nie wieder etwas über Kopf heben", sagt sie. Oder eben Schlaganfallpatienten, die im besten Fall durch die Physio wieder lernen, ohne Rollstuhl selbstständig zurechtzukommen.

Selbst dafür aufkommen

Sind die im Rahmen der Gesundheitsreform geplanten Primary-Health-Care-Zentren (PHC) eine Chance? Also: Physiotherapeuten, die mit Hausärzten Seite an Seite arbeiten und von dieser Schlüsselposition aus Patienten mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit mobilisieren könnten? Für Verbandschefin Meriaux-Kratochvila ist das eine Chance, die Physiotherapie im System neu zu positionieren. Allerdings ist sie wenig optimistisch, dass es in naher Zukunft passieren wird. "Die Ärzte kämpfen im Rahmen der PHC doch gerade um ihren Machterhalt und wollen deshalb keine Agenden an die Gesundheitsberufe abgeben", sagt Meriaux-Kratochvila und rechnet nicht mit einer Unterstützung durch die Ärztekammer.

Wenn es um Regeneration und Mobilisierung nach Verletzungen geht, leistet Physiotherapie einen essenziellen Beitrag: Außerhalb des Krankenhauses müssen Patienten jedoch finanziell selbst dafür aufkommen. (Karin Pollack, 23.3.2016)