Dass die Westbalkanroute zu ist – hier eine Szene aus dem griechisch-mazedonischen Grenzort Idomeni –, geht unter anderem auf österreichische Initiative zurück.

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Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk hat starke Zweifel an den Grundlagen der Schließung, Flüchtlingsoergrenze und Zagreber Polizeiabkommen.

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Wien – Der beim Asylgipfel von Bund und Ländern Ende Jänner vereinbarte Richtwert für Asylanträge – die sogenannte Obergrenze – wird von der Regierung als unverzichtbar bezeichnet. Fast täglich schwören Kanzler, Vizekanzler, Innen-, Außen- und Verteidigungsminister sich und die Bevölkerung darauf ein, dass bis 2019 in Österreich nur so viele Schutzersuchen zugelassen werden dürfen, wie es 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht.

Außerdem betonen sie, dass es auf keinen Fall zur Wiederöffnung der sogenannten Westbalkan-Flüchtlingsroute kommen dürfe. Diese ist auf Grundlage des sogenannten Zagreber Abkommens geschlossen – eines am 18. Februar in der kroatischen Hauptstadt von den Polizeiverantwortlichen Österreichs, Sloweniens, Kroatiens und Mazedoniens unterzeichneten Vertrags.

Klare Ansage

Doch rechtlich betrachtet leiden sowohl der Obergrenzenplan als auch das Zagreber Abkommen an grundlegenden Defiziten. Das betont der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk im Gespräch mit dem STANDARD. Die Obergrenze, laut der in Österreich zum Beispiel heuer nur 37.500 Asylanträge bearbeitet werden sollen, sodass der 37.501. Asylantragsteller ohne Verfahren abgewiesen werden müsste, sei "eindeutig völker-, menschen- und verfassungsrechtswidrig", sagt er.

Funk war mit einer von zwei Obergrenzen-Expertisen beauftragt, die die Regierung am Donnerstag elektronisch erhält und die am Freitag um 11 Uhr im Bundeskanzleramt offiziell übergeben wird. Funks Aufgabe war, den Richtwertplan verfassungsrechtlich zu begutachten. Der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer übernahm den völker- und europarechtlichen Part.

Verstoß gegen Rechtsschutz

Bei der vorgelegten Frage seien völker-, menschen-, flüchtlings- und verfassungsrechtliche Aspekte eng miteinander verwoben, erläutert Funk. So sei das auch für Asylwerber geltende Recht auf "Rechtsschutz vor einem unabhängigen Gericht" gleich "mehrfach verbürgt: in der EU-Grundrechtscharta, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie verfassungsrechtlich".

Doch genau dieser Rechtsschutz drohe durch den Richtwert gebrochen zu werden. "Das ist der Knackpunkt", sagt Funk, "würde eine gesetzliche Obergrenzenregelung geschaffen, laut der der 37.501. Asylantrag nicht mehr entgegengenommen wird, so wäre das ein eindeutiger Rechtsschutzverstoß."

Bruch des Refoulement-Verbots

Auch gegen ein weiteres unbedingt geltendes, im österreichischen Asylgesetz ebenso wie in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in der EU-Grundrechtscharta verankertes Prinzip würde dann möglicherweise verstoßen: das Refoulement-Verbot. Es besagt, dass kein Mensch an einen Staat ausgeliefert werden darf, in dem ihm Folter, Todesstrafe oder eine Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität droht.

Würden "überzählige" Asylanträge nicht bearbeitet, so seien Verstöße gegen das Refoulement-Verbot zu erwarten. Auch die Rückweisung in einen als sicher anzunehmenden Nachbar- oder Drittstaat befreie die österreichischen Behörden nicht von der Pflicht, die Einhaltung des Refoulement-Verbots im Einzelfall zu prüfen. Selbst "unter Berufung auf einen Notstand" könne eine solche Prüfung nicht ausgesetzt werden.

Fragwürdiger Vertrag

Nichts abgewinnen kann der Verfassungsexperte auch dem auf österreichische Initiative abgeschlossenen Zagreber Abkommen, mit dem die polizeilichen Maßnahmen für den derzeitigen Flüchtlingsstopp auf dem Westbalkan vereinbart wurden. Dem Vertrag fehle jede Rechtskonformität, kritisiert Funk: "Seiner Form nach könnte das Zagreber Abkommen ein Verwaltungsübereinkommen sein. Dann müsste es vom Nationalrat oder vom Bundespräsidenten beschlossen und im Amtsblatt publiziert worden sein."

Das jedoch war nicht der Fall. Stattdessen, so der Verfassungsjurist, handle es sich beim Zagreber Abkommen offenbar um ein "Zerfallsprodukt des Schengensystems". Denn: "EU-rechtlich ist die Grenzschließung durch Mazedonien mit größter Wahrscheinlichkeit rechtswidrig." (Irene Brickner, 17.3.2016)