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In 50.000 Jahren sollte es eine neue Eiszeit geben. Laut Klimaforschern wird sie bereits durch den gegenwärtigen CO2-Ausstoß unterdrückt.

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Klimaforscher und Politikberater Hans Joachim Schellnhuber.

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STANDARD: Auf der Nordhalbkugel wurde im Winter die Marke von zwei Grad über den Durchschnittstemperaturen vor der industriellen Revolution überschritten. Heißt das, dass die Gefahren, die mit dem symbolisch wichtigen Wert verknüpft sind, nun über uns hereinbrechen?

Hans Joachim Schellnhuber: Nein, die Klimafolgen einer episodischen Überschreitung würde ich nicht so hoch bewerten. Eine Fluktuation von ein paar Monaten oder Jahren zeigt uns zwar schnelle und massive Veränderungen in den Ökosystemen – Tiere machen sich vielleicht nicht mehr auf den Weg nach Afrika, Pflanzen blühen zu Weihnachten -, die großen Bedrohungen wie Veränderungen der Eisschilde oder des Monsunsystems entfalten sich aber mittel- und langfristig. Was uns Sorgen machen muss, sind die Points of no Return, also systemische Veränderungen in der planetarischen Maschinerie, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Als Physiker mache ich mir Sorgen über Weichen, die für Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende gestellt werden.

STANDARD: Welche der lebenswichtigen Organe der Erde durchlaufen zuerst einen Point of no Return?

Schellnhuber: Die Korallenriffe könnten schon bei einem globalen Anstieg von 1,5 Grad zu 90 Prozent verschwinden. Was uns noch mehr Sorgen macht, sind die beiden großen Eisschilde. Es scheint, dass in der Westantarktis bereits wichtige Linien überschritten wurden, die aber noch nicht das Gesamtsystem betreffen. Mit viel Glück wird Grönland auch bei drei, vier Grad Erwärmung noch stabil bleiben, mit wenig Glück destabilisiert es sich vielleicht schon unter zwei Grad. Das einzugrenzen ist derzeit eine der spannendsten Forschungsfragen.

STANDARD: Eine Erkenntnis Ihres Instituts ist, dass der Klimawandel die nächste Eiszeit verhindert. Wie kann man das voraussagen?

Schellnhuber: Wir haben eine Formel entwickelt, die uns sagt, wann eine Eiszeit einsetzt. Im Wesentlichen geht es dabei um das Verhältnis von Sonneneinstrahlung und CO2-Gehalt der Atmosphäre. Nachdem der Sonnenstand je nach Neigung der Erdachse und Form der Erdbahn exakt berechenbar ist, können wir einerseits rekonstruieren, warum die vergangenen Eiszeiten eingesetzt haben, andererseits aber auch einen Blick in die Zukunft werfen. Wir sehen, dass mit dem CO2, das jetzt in der Atmosphäre ist, die nächste Eiszeit, deren Beginn wir in etwa 50.000 Jahren erwarten würden, schon unterdrückt ist.

STANDARD: Was bedeuten für Sie die Ergebnisse der Klimakonferenz in Paris?

Schellnhuber: Es war ein großer diplomatischer Erfolg. Man hat eine Weltbürgerstimmung geschaffen. Die Implementierung der Ziele hängt jetzt jedoch von tausend Faktoren ab. Ich glaube aber, dass nach Paris der Weg in Richtung Decarbonisierung akzeptiert ist. Die Profiteure der fossilen Wirtschaft sind oft Diktaturen oder Staaten mit hoher Korruption. Die erneuerbaren sind die demokratischeren Energien. Jeder, der ein Stück Land hat, kann seine Energieversorgung mit Sonne, Wind oder Erdwärme sichern.

STANDARD: Kann die Einhelligkeit von Paris etwas gegen die Zwänge des Standortwettbewerbs zwischen den Staaten ausrichten?

Schellnhuber: In Europa gibt es viele Bruchlinien. Manche ost- und zentraleuropäischen Länder haben zugestimmt, tragen aber das Narrativ nicht wirklich mit. Ich glaube nicht, dass sich Europa als Ganzes schnell genug bewegen kann. Wenn einige Länder die Transformation schnell hinkriegen, wird man sehen, wie man damit prosperieren kann. Dann werden Länder wie Ungarn, Tschechien oder Polen bemerken, dass sie abgehängt werden, wenn sie nicht aufspringen.

STANDARD: Manche Wissenschafter stellen eine Verbindung zwischen dem Klimawandel und dem aktuellen Bürgerkrieg in Syrien her. Was sagen Sie dazu?

Schellnhuber: Es wird spekuliert, dass zwischen der Dürre in der Region – der stärksten seit 900 Jahren – und dem Bürgerkrieg ein Zusammenhang besteht. Natürlich hat das Klima nicht den Bürgerkrieg ausgelöst. Durch die Dürre wurden aber an die zwei Millionen Menschen vom Land ins Umfeld der Städte getrieben. Das führt zu sozialen Spannungen. In Kalifornien gibt es auch eine historische Dürre, wahrscheinlich die stärkste seit 800 Jahren. In einem Staat, der ohnehin schon an der Stabilitätsgrenze ist, kann der Klimaeinfluss aber der Tropfen sein, der das Fass überlaufen lässt.

STANDARD: Österreich erreicht die EU-Klimaziele für 2020 nicht. Was sagen Sie zur Klimapolitik hier?

Schellnhuber: Vernachlässigt wurden etwa Transport und Verkehr und die Energieeffizienz in den Städten. Wien will in den nächsten Jahren ein Volumen in der Größenordnung der Stadt Graz zubauen. Wenn man das mit Stahlbeton macht, hat man ungeheure zusätzliche Emissionen. In erster Linie muss man aber an den Transport heran. Ich bin überzeugt, dass wir in 20 Jahren die Elektromobilität im Individualverkehr erreichen können. Da wäre es schön, wenn Österreich aggressiv mitmachen würde.

STANDARD: Wie nehmen Sie Lobbying und Kampagnenbildung gegen Klimaforschung wahr?

Schellnhuber: Wir wissen inzwischen, dass Kampagnen gesteuert werden, um wirtschaftliche Interessen zu verteidigen. Es wurden ganze Institute gegründet, die beweisen sollen, dass der Klimawandel nicht existiert. Und es gibt die Fraktion jener Menschen, die der Wissenschaft grundsätzlich nicht glauben und etwa lieber das Horoskop lesen. Wir dürfen nicht voraussetzen, dass die Vernunft die Welt regiert. Es ist vielleicht eine Mischung aus Irrationalität und gutem Willen, manchmal mit kleinen Erleuchtungsblitzen. (Alois Pumhösel, 17.3.2016)