Wien – Die Welt reicht nur so weit, wie man sehen kann. Für den fünfjährigen Jack (Jacob Tremblay) und seine Mutter Joy (Brie Larson) beschränkt sie sich auf wenige Quadratmeter. Ein Fenster geht oben hinaus. An einem so eng bemessenen Ort sind selbst ein Stuhl, ein Herd, das Klo oder ein Waschbecken nicht nur Dinge mit Funktionen, sondern verfügen über Persönlichkeit. "Guten Morgen, Pflanze!" Was außerhalb der vier Wände liegt, ist für den kleinen Buben nicht existent. Unwirklich wie alles, was er aus dem Fernseher kennt.

Lenny Abrahamsons Room beschreibt kein theoretisches Szenario, wie man nach dieser Beschreibung vielleicht meinen könnte, sondern ein Gewaltverbrechen, das an den Fall F. denken lässt. Nach dem Bestseller der Kanadierin Emma Donoghue, die ihr Buch selbst adaptiert hat, lotet der Film das Miteinander einer Mutter und eines Kindes in einer Ausnahmesituation aus. Dei beiden formen eine Einheit auf allerengstem Raum. Dass sie überhaupt weiterleben können und so etwas wie einen Alltag haben, liegt daran, dass sie füreinander die ganze Welt bedeuten.

Keine Freiheit ist grenzenlos, sondern eine Herausforderung, die man bewältigen muss: innige Momente zwischen Brie Larson und Jacob Tremblay als Mutter und Sohn in "Room".
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Jack hat niemals einen anderen Ort gesehen, so viel wird im Film schon zu dem Zeitpunkt klar, als es um seine Geburtstagsfeier geht. Warum dem so ist, erzählt der irische Filmemacher jedoch nicht als Thriller, der spannungsvoll zu einer Offenbarung strebt, sondern als entrückte, schiefe Normalität innerhalb eines Albtraumsettings. Der Täter lässt in Room nicht lange auf sich warten. Jede Nacht besucht er seine kleine Familie. Dann muss Jack in den Schrank und sieht von dort nur Schemen durch die Jalousien.

Verzweiflung und Wut

Während das Buch über die Sprache eine subjektive Wahrnehmung ausgestalten kann – es ist als Ich-Erzählung des Buben verfasst -, muss der Film notgedrungen eine objektivere Position einnehmen. Die Verschiebung ist auch im Vergleich zu Markus Schleinzers Michael aufschlussreich, der sich nüchtern-protokollarisch des Verhältnisses von Entführer und Opfer annahm. In Room liegt der Angelpunkt dagegen eindeutig im emotionellen Bereich: in einer alles Böse überstrahlenden Innigkeit, die auch durch gelegentliche Verzweiflungs- und Wutanfälle nicht erschüttert werden kann. Die äußere Bedrohung hat das Band zwischen den beiden nur noch gefestigt. Die Musik ist an manchen Stellen mit ihrem Nachdruck schon zu viel.

KinoCheck

Abrahamsons Ausrichtung verlegt den Akzent auf den schauspielerische Bereich, dem sein Film Kraft und Dringlichkeit verdankt. Brie Larson hat schon in dem US-Independent-Film Short Term 12 in der Rolle einer Sozialarbeiterin gezeigt, dass sie sich auf kämpferische Charaktere versteht. Als "Ma" erklimmt sie nun noch größere Höhen an Intensität, ohne in den stilleren Momenten zu enttäuschen – es ist eine Arbeitsrolle, die für Auszeichnungen wie den Oscar wie gemacht erscheint. Besonders faszinierend ist es jedoch, dem jungen Jacob Tremblay zuzusehen, wie er sich an die plötzliche Verwandlung seiner vertrauten Umwelt anpasst.

Freiheit mit Grenzen

Room spielt nämlich nicht nur in einem einzigen Raum, sondern lebt wesentlich davon, zwei sehr unterschiedliche Teile aufeinander zu beziehen. Der Clou daran ist, dass keine Freiheit grenzenlos ist: Sie weist das Erfordernis menschlichen Austauschs auf, eine Herausforderung, die man erst bewältigen muss. Zu zweit, so seltsam das sein mag, war es für Jack und Joy einfacher, da sie weniger Menschen beurteilt haben. Abrahamson macht dieses Gefälle auch visuell deutlich: Das Gefängnis filmt er in Breitwandbildern, in denen der Raum zwischen den Körpern ganz flach wird. Die Außenwelt dagegen wirkt viel zu groß. Eine zu hell ausgeleuchtete Welt, in der man fast schon zu viel sehen kann. (Dominik Kamalzadeh, 17.3.2016)