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Er lässt sich nur ungern fotografieren: Hier eines der offiziellen "Porträts" des Modemachers Hedi Slimane.

Foto: APA / EPA / Y.R. / Saint Laurent Paris

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Schaut zwar aus wie vom Flohmarkt, kostet aber ein kleines Vermögen: Mit seinen Kollektionen für Saint Laurent hat Hedi Slimane Uniformen für Rock-Chics entworfen.

Foto: APA / EPA / Ian Langsdon

Wenn es derzeit einen Modemacher gibt, dessen Arbeit die Gemüter spaltet, dann ist es Hedi Slimane. Als er vor vier Jahren die Designagenden bei Yves Saint Laurent übernahm, verlegte er das Atelier von Paris nach Los Angeles. Und das bei einem Label, das in Frankreich als Nationalheiligtum angesehen wird.

Er strich den Vornamen Yves aus Yves Saint Laurent und präsentierte seine Kollektionen fortan unter dem Namen Hedi Slimane for Saint Laurent. Auch das kam nicht überall gut an. Ein richtiger Sturm fegte allerdings über den Designer hinweg, als er seine erste Kollektion für Saint Laurent präsentierte. "Fetzen, die man auch am Flohmarkt kaufen könne", ätzten die einen, "Mode für reiche Kiddies", die anderen.

Was seine Kritiker zu sagen hatten, schien Slimane nicht weiter zu kümmern. Er zog sich noch ein Stück weiter in sein kalifornisches Schneckenhaus zurück und machte das, was er sich vorgenommen hatte: aus dem stark defizitären Modehaus Yves Saint Laurent eine komplett durchdesignte Marke der Gegenwart zu formen.

Zur Melkkuh gewandelt

Vier Jahre später sind die Kritiker noch immer nicht verstummt. Zur Bestrafung sperrt sie Slimane aus seinen Modeschauen aus. Sie revanchieren sich umgehend mit bösen Kommentaren. Ein Detail müssen aber auch sie zur Kenntnis nehmen: Seitdem Slimane am Ruder steht, hat sich das zur Kering-Gruppe (Gucci, McQueen, Puma) gehörende Luxuslabel zu einer wahren Melkkuh gewandelt. 2011 machte Saint Laurent gerade einmal 354 Millionen Euro Umsatz. 2015 bereits knapp eine Milliarde. Um ganze 38 Prozent konnte man allein im letzten Jahr den Umsatz steigern.

Trotz alledem wollen die Ablösegerüchte rund um den Designer nicht verstummen (Gerüchten nach steht der potentielle Nachfolger Anthony Vaccarello schon Gewehr bei Fuß). Was ist da los?

Die jüngste Erfolgsgeschichte des Hedi Slimane ist ein Beispiel dafür, wie stark sich das Modebusiness verändert hat. Die Mode selbst ist nur mehr ein Baustein unter vielen, der den Erfolg oder Misserfolg eines Hauses ausmacht. Aus Designern wurden Imagemacher. Und Hedi Slimane ist einer von denen, die das besonders gut können. Das war schon immer so, damals bei Dior Homme, wo Slimane zum wahrscheinlich wichtigsten Männermodemacher der Nuller-Jahre aufstieg und jetzt auch bei Saint Laurent.

Erst YSL, dann Dior

1996 hatte Yves Saint Laurent den damals 28-Jährigen ins Unternehmen geholt und ihm die Designagenden der Herrenkollektion in die Hände gelegt. Ein wirkliches Gewicht hatte Herrenmode bei YSL nicht, das Haus stand (und steht auch heute) für aufwendig gefertigte Damenmode. Doch Slimane schaffte es mit seinen schmalen Schnitten eine neue Silhouette einzuführen, die jeder haben wollte.

Als er 2000 zu Dior wechselte, wo es zu diesem Zeitpunkt Männermode nur in Form langweiliger Krawatten oder Gürtel gab, stieg das Label schnell zum Ausstatter der Indie-Szene auf. Kaum ein Londoner Musiker, der sich nicht in die kantigen, superschmal geschnittenen Sakkos und die engen Jeans von Slimane zwängte, viele (wie Karl Lagerfeld), die sich extra auf jene Maße runterhungerten, die es ihnen erlaubte, Slimane zu tragen. Aus dem scheuen Jungdesigner, der die Öffentlichkeit am liebsten mied, wurde ein Modestar mit Zickennimbus und eigener Entourage.

Genau so wie weiland Yves Saint Laurent polarisierte auch Hedi Slimane mit seiner radikalen Ästhetik: War es bei Saint Laurent die damals unerhörte Übernahme von Streetwear und Herrenmode in den Bereich der Couture, war es bei Slimane ein als "krank" verschrieenes Size-Zero-Körperideal, das sich nicht nur in den Kampagnen, sondern auch auf dem Laufsteg in Form leptosomer Jünglinge mit flachen Hintern und eingefallenen Wangen äußerte.

Wie gemacht fürs Festival

Diesem Menschenbild ist Slimane bis heute treu geblieben. Als er 2007 Dior verließ, huldigte er ihm fortan nicht mehr als Modemacher, sondern als Fotograf. Slimanes Bildbände erzählten von einem Leben in Schwarz-Weiß und unterm Scheinwerferlicht, die Bierflasche und den Joint jederzeit griffbereit. Die Bilder, die wir uns heute von Rockstars machen, sie sind maßgeblich von den Fotos Slimanes beeinflusst. Sie berichten von einer Welt, in der Glamour und Dreck keine Gegensätze sein müssen und Schönheit oft eher im Hässlichen entdeckt wird als in einer glatt gebürsteten Photoshop-Ästhetik.

Die Frage, wann Slimane wieder zur Mode zurückkehrt, wurde in all seinen Fotografen-Jahren wieder und wieder gestellt. Im März 2012 war es dann so weit. Zur Überraschung vieler übernahm Slimane neben den Männeragenden bei Yves Saint Laurent aber auch jene der Damen. Frauen trugen zwar liebend gern Mode von Dior Homme, Frauenkollektionen hatte Slimane bis zu diesem Zeitpunkt aber noch keine gefertigt.

Bis heute schwebt über Slimane das Verdikt, Frauen nicht wirklich zu können. Dabei setzte der Modemacher bei Saint Laurent eigentlich nur dort an, wo er seinerzeit bei Dior Homme aufgehört hatte. Nur, dass es jetzt neben männlichen auch weibliche Rock-Chics gibt. Sie tragen zerrissene Jeans und Wellington-Boots, stecken in abgefuckten, bunten Pelzmänteln oder in Lederjacken (ein Slimane-Klassiker), die Netzstrümpfe sind zerrissen, die Augen tiefschwarz angemalt. Wild gesampelte Mode, an der recht wenig neu und vieles altbekannt wirkt. Wie gemacht für Musikfestivals wie Coachella oder Glastonbury.

Lady Gaga & Justin Bieber

Es ist kein Wunder, dass Musiker von Lady Gaga bis Justin Bieber zu den treuesten Slimane-Anhängern gehören. Wie kaum ein Zweiter hat er es in den vergangenen Jahren geschafft, eine Basisgarderobe aufzubauen, die perfekt sitzt und gleichzeitig einfach zu tragen ist. Sie ist die Grundlage des Saint-Laurent-Stils, der wie weiland bei Dior Homme aber viel weiter gefasst werden muss. Innerhalb kürzester Zeit veränderte Slimane die Werbekampagnen von Saint Laurent (jetzt sind androgyne Rockstars seine Testimonials) und verpasste den Boutiquen ein neues Styling (in Schwarz-Weiß natürlich). Kein Detail, das nicht über seinen Schreibtisch muss.

Mode ist heute nicht mehr nur Kleidung, sie drückt ein Lebensgefühl aus. Dieses zu entwerfen und minutiös zu kontrollieren, ist Slimanes große Leidenschaft. Das, monieren viele Kritiker, scheint ihm zu Kopf gestiegen zu sein. Bis Ende März muss Slimanes Vertragsverlängerung bei Kering unter Dach und Fach sein. Ansonsten könnte er seinem Lebensgefühl vielleicht bald wieder als Fotograf frönen. (Stephan Hilpold, RONDO Exklusiv, 27.3.2016)