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STANDARD: 2012 war ein Krisenjahr für den Euro. Im Sommer jenes Jahres kündigte der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, an, den Euro zu halten – "whatever it takes".

Hetzer: Die Zielsetzung der EZB war und ist es seit Jahren, für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen: Die Inflationsrate sollte das Niveau von zwei Prozent erreichen und die Kreditpolitik das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Leider funktioniert das im Moment noch nicht. Die Strafzinsen auf Einlagen von 0,4 Prozent, das Anleihenrückkaufprogramm von 80 Milliarden Euro monatlich und die Senkung der Zinsen auf null Prozent sind "hard stuff". Gerade Letzteres gibt Grund zur Sorge. Es ist ein Versuch nach dem Motto "more of the same" – dass das der Königsweg ist, bezweifle ich.

STANDARD: De facto findet durch die EZB-Politik eine gigantische Umverteilung zulasten des Mittelstandes statt: Kritiker meinen, Sparer werden enteignet, Zombiebanken gefüttert.

Hetzer: Die Sparer leiden, die Leistungen der Lebensversicherungen werden abnehmen, die Renditeerwartungen der Unternehmen werden teils nicht erfüllt werden.

STANDARD: Die EZB hat Banken und vielleicht Staaten gerettet, nicht aber die Wirtschaft. Welche Munition hat Draghi noch?

Hetzer: Nicht mehr viel, er hat fast alles verschossen. Natürlich kann Draghi den Zins noch weiter senken, in der Erwartung, dass eine ordnungsgemäße geldpolitische Transmission stattfindet und die Einheitlichkeit der Geldpolitik bewahrt oder überhaupt erst hergestellt wird. Daran fehlt es jedoch, und ich glaube nicht, dass diese in allernächster Zeit mit diesen Mitteln herzustellen sein wird.

STANDARD: Was läuft schief, dass viele der Maßnahmen in der Realwirtschaft nicht ankommen?

Hetzer: Es ist die Angst, noch gutes Geld schlechter werdendem Geld hinterherzuwerfen. Es ist die Angst davor, dass sich gewisse Investitionen zur Herstellung bestimmter Güter nicht mehr lohnen, die Angst, Geld zu verlieren. Man weiß nicht mehr, ob das, was man bereit ist auszugeben, sich durch die üblichen Marktmechanismen auch vermehrt.

STANDARD: Das heißt, Angst ist die treibende oder vielmehr bremsende Kraft?

Hetzer: So würde ich es nicht sagen. Es ist vielleicht eine gesunde, nachvollziehbare Vorsicht, eine besondere Mischung aus Angst, unsicherer Erwartung, Reflex von dem, was man schon erfahren hat. Man kann es den Menschen nicht übelnehmen, die Welt als eine wahrzunehmen, die immer schlechter wird. Es ist nachvollziehbar, dass bei Gütern, die einen großen Verwaltungsaufwand samt Kosten mit sich bringen, eine gewisse Zurückhaltung besteht. Wie das zu ändern ist, weiß ich nicht. Man wird wohl kaum neue Ländereien erobern oder Amerika neu entdecken.

STANDARD: Verunsichert sind auch die Sparer. Gerade in Österreich, wo das Sparbuch die beliebteste Anlageform ist.

Hetzer: Das mit dem Sparbuch wird sich vielleicht ändern. Für große Teile der Bevölkerung erst einmal zwar noch nicht, aber es wird die Zeit kommen, wo man sich fragt, was für einen Sinn das Sparbuch eigentlich noch hat. Sofern das nicht ohnehin schon der Fall ist. Der Sparer wird schleichend enteignet, aber die Menschen sind nicht dumm.

STANDARD: Man könnte nun für mittel- bis langfristige Anlagen zu Aktien raten, aber die einfache Hausfrau wird das Geld wohl bevorzugterweise unter der Matratze aufheben.

Hetzer: Das ist bei möglichen Strafzinsen wohl auch gar nicht so abwegig. Ich bin aber trotzdem weit davon entfernt, so einen Ratschlag zu geben. Ich denke vielmehr, dass ein gewisser Umfang an Schulden florieren muss. 97 Prozent der Geldmenge werden durch bestimmte kreditbasierte Operationen kreiert, also dadurch, dass Geld als rückzahlbares Etwas, beispielsweise als Kredit, ausgereicht wird. In der Folge werden Erwartungen geschaffen, die erfüllt oder auch nicht erfüllt werden. Die Geldmengen sind demnach ganz unterschiedlich zu klassifizieren – sowohl was den Ursprungs- beziehungsweise den Härtegrad als auch was die Verlässlichkeit bei der Rückzahlung angeht.

STANDARD: Sie selbst sagen, Draghi scheint sich im Ruhm zu sonnen, der "Magier der Märkte" zu sein. Sehen Sie seine Politik persönlich genauso?

Hetzer: Nun, bisher haben die magischen Kräfte des Herrn Draghi nicht ausgereicht, das Ziel einer Zwei-Prozent-Inflationsrate und einer wachsenden Wirtschaft zu erreichen. Es wird auch bei Fortsetzung dieser Politik nicht erreicht. Wir brauchten andere Anreize als die derzeitigen monetären. Man müsste dafür sorgen, dass sowohl die Wirtschaft als auch der Staat Anstrengungen unternehmen, die zu einer erhöhten Wirtschaftsaktivität führen. Ausgehend von einem handlungsfähigen und handlungswilligen Markt, verbunden mit Kreditaufnahme wären Infrastrukturmaßnahmen ein Ansatz, der Impulse setzen könnte. In Deutschland ist man sehr stolz auf seinen ausgeglichenen Haushalt – ob das so bleiben kann, ist mehr als zweifelhaft. Notwendig wäre also eine grundsätzliche Neuorientierung. Andere Länder könnten dann nachziehen.

STANDARD: Für Wirtschaftswachstum sorgt die EZB ganz offensichtlich nicht. Sorgt sie dafür für wandernde Blasen?

Hetzer: Das hängt davon ab, ob die Wirtschaftsunternehmen nicht nur zu den vermeintlich prall gefüllten Trögen hingeführt werden, sondern auch daraus saufen. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt alles andere als selbstverständlich. Man hat Angst davor, große Investitionen zu tätigen. Hinzu kommen Gegentendenzen wie beispielsweise der fallende Ölpreis. Die EZB verfolgt zwar mit dem Versuch der Ankurbelung der Wirtschaft durch die vorhin genannten Maßnahmen ein ehrenwertes Anliegen – dagegen ist auch nichts zu sagen. Bislang jedoch mit überschaubarem Erfolg. Denn was wir in Europa erleben, ist nicht sonderlich begeisternd.

STANDARD: Nun brummt zumindest in Deutschland der Wirtschaftsmotor. Der enorme Exportüberschuss führt allerdings auch zu enormem Kapitalabfluss.

Hetzer: Das ist richtig. Es gibt allerdings keine Garantie dafür, dass die angebotenen deutschen Güter und Dienstleistungen zu einem bestimmten Preis für alle Zeiten Abnehmer finden. Ich habe meine Zweifel, ob und wie lange sich die derzeit noch marktbeherrschende Stellung aufrechterhalten lässt. Die schwarze Null in Deutschland wackelt ja bereits, die Folgekosten durch die Flüchtlingsbewegung sind noch nicht abzusehen. Die Kosten dürften sich in den nächsten Jahren jedoch in zweistelliger Milliardenhöhe bewegen. Ob die Entwicklung auf Eingaben- und Ausgabenseite so ausgeglichen bleibt wie jetzt, ist fraglich.

STANDARD: Die EZB kämpft vordergründig für den Anstieg der Inflationsrate, Hintergrund dürfte aber vielmehr die Angst vor einer Deflation sein.

Hetzer: Angst vor schrumpfender Güterproduktion und fallenden Preisen mag schon dahinterstecken, doch führende Wissenschafter meinen, die Deflationsgefahr sei überschaubar. Das heißt nicht, dass etwas, das man nicht sieht, nicht da ist oder noch kommen könnte, dennoch ist die Deflation im Moment nicht das entscheidende Problem. So sie es denn haben, sitzen die Leute lieber auf ihrem Geld und verwenden es nicht, um produktive Prozesse zu initiieren oder ihren Geschäftsbereich auszubauen. Es wird längst nicht so investiert, wie man es sich in einer Gründerzeit vorstellen würde. Es ist eher so, als ob man sich auf einen Crash vorbereitet als auf blühende Landschaften. (Sigrid Schamall, 17.3.2016)