Für die Modelinie von Max Mara wirbt in dieser Saison das dänische Supermodel Freja Beha Erichsen.

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Designchefin Laura Lusuardi (links) ist eine Institution bei Max Mara. Die Deutsche Nicola Maramotti hat in die Familie eingeheiratet.

Fotos: Max Mara

Laura Lusuardi, grauer Bob, von gedrungener Statur, zieht eine Schachtel mit geblümten Stoffresten aus einem Regal. Die Designchefin von Max Mara steht inmitten des neu gestalteten Firmenarchivs in Reggio Emilia. Einzigartig sei dieses Archiv, aus dem Stellenwert ihrer Sammlung macht Lusuardi keinen Hehl. Muss sie auch nicht. 20.000 Kleidungsstücke aus vergangenen Kollektionen, 600 Stoffschachteln und 8000 Vintage-Schätze lagern hier. Einen Großteil davon hat sie selbst zusammengetragen.

Die Italienerin, seit über fünf Jahrzehnten im Dienst, hat sich aus dem Tagesgeschäft verabschiedet. Leiser aber tritt sie noch lange nicht. Sie bewegt sich hier in ihrem Reich, und bevor eine Mitarbeiterin die Schachtel mit den geblümten Stoffproben überhaupt geöffnet hat, zupft Lusuardi an anderer Stelle schon an einem Stapel Jeans.

Schnell ist klar: Lusuardi gilt innerhalb des Unternehmens aus Reggio Emilia nicht nur als Institution, der dunkle Tunika-Zweiteiler, den sie trägt, ist so geradlinig, unprätentiös und bestimmt wie ihr Auftritt. Die einzigen Extravaganzen, die sich diese Frau erlaubt: eine wuchtige Ethno-Halskette, ein breiter Armreif, an den Ohren baumeln zwei Schildkröten-Ohrringe.

Heute koordiniert Lusuardi für Max Mara vor allem Sonderprojekte. Ihre Geschichte aber ist mit der des diskreten Moderiesen aus Reggio Emilia eng verwoben. Die Max-Mara-Gruppe, die neben dem Mantelspezialisten rund zwanzig Marken von Sportmax bis Marina Rinaldi in ihrem Portfolio hat, ist im Gegensatz zu vielen italienischen Modeunternehmen, die von internationalen Luxuskonzernen aufgekauft wurden, noch zur Gänze in Familienbesitz.

Die Maramottis in Reggio Emilia

Vor 65 Jahren wurde das Unternehmen von Achille Maramotti in der Provinzhauptstadt Reggio Emilia, rund sechzig Kilometer von Bologna entfernt, gegründet. Noch heute laufen in der Po-Ebene die Fäden zusammen: Hier können die Designteams nicht nur ihre Nasen in das neue Modearchiv stecken, hier werden in zwei Fabrikhallen die beigen Mantelklassiker zusammengesetzt, hier steht seit über zehn Jahren ein paar Autominuten von der Provinzstadt entfernt das Headquarter aus Stahl, Glas, Backstein.

Die Modestadt Mailand ist dank des Hochgeschwindigkeitszuges in nur vierzig Minuten erreichbar, erscheint aber weit weg: Die Region ist weniger für ihre Mode als für ihre wagenradgroßen Parmesanlaiber bekannt. Im nahe gelegenen Parma sitzt die Nudel-Dynastie Barilla.

Hier in der Provinz begann Achille Maramotti mit Mitte zwanzig Mäntel für die Stange zu produzieren. Im Italien der Fünfzigerjahre eine fortschrittliche Idee. Wer nicht das Geld hatte, sich französische Couture zu leisten, nähte damals selbst oder ging zum örtlichen Schneider. Der Firmengründer realisierte Schnitte, die seine Mutter Giulia Fontanesi entwickelt hatte. Maramottis erste Prêt-à-porter-Modelle, ein Mantel, ein Blazer und ein rotes Kostüm, mussten aufgrund des Mangels an Boutiquen noch in Stoffgeschäften verkauft werden.

Als sich Laura Lusuardi, im Kleidergeschäft ihrer Eltern in der Nähe von Reggio Emilia aufgewachsen, mit 18 bei Achille Maramotti bewirbt, hat das Geschäft längst expandiert. 1964 ist der Firmengründer im Begriff, das Unternehmen zu verjüngen. Die junge Frau mit Sinn fürs Geschäftliche bleibt – bis heute.

Streifzug durchs Archiv

Dass das neu geordnete Archiv von Max Mara nicht nur die eigene Firmengeschichte, Skizzen, Anzeigen, Bücher, Stoffe und Kollektionen der letzten Jahrzehnte beherbergt, ist Lusuardis ungezügelter Sammelleidenschaft zu verdanken. Zu Hause hortet sie Statement-Ketten aus aller Welt, hier hängen über zwei Stockwerke verteilt tausende Kleider, Blusen, Mäntel – und über hundert Jahre Modegeschichte auf gepolsterten Kleiderbügeln.

Wo auch immer in der Weltgeschichte Lusuardi unterwegs ist, durchstöbert sie Secondhandläden und Flohmärkte. Wenn es sein muss, jagt sie auch morgens in aller Frühe nach Textilien. Gerade erst hat sie in Rom fünf Kleider eingekauft. Nach welchen Kriterien die Italienerin auswählt? Egal ob Designerstück oder No-Name-Teil, "wichtig ist, dass es ins Budget passt".

Die Italienerin streift zwischen den Kleiderstangen umher und zieht ein Spitzenkleid aus den 1920er-Jahren hervor – nicht ohne dessen Vorzüge zu kommentieren: "Diese Volants, so hübsch!" Die Sammlung an Military-Jacken in Grün, Schlamm, Beige? "Unerlässlich als Inspiration für die Max-Mara-Kollektionen." Exklusive Designerstücke von Kenzo oder Yves Saint Laurent hat das Archiv langjährigen Unternehmenskontakten zu verdanken.

Sie stammen aus den Kleiderkästen illustrer Frauen. Carine Roitfeld, die einstige Chefredakteurin der französischen "Vogue", spendete einen Teil ihrer Garderobe: schwindelerregend hohe High Heels und eine Givenchy-Bomberjacke zum Beispiel, von den drei Mitarbeiterinnen im Archiv wie fast jedes Teil um ein Dokumentationsfoto ergänzt. Einen Raum nebenan hängen zahlreiche Versionen des prominentesten Mantels des Hauses, des camelfarbenen Modells 101/801 aus Kaschmirwolle, 1982 designt von Anne-Marie Beretta.

Oberstes Gebot: Diskretion

Zum Designen haben sich die Maramottis selbst nie berufen gefühlt, sie sind Geschäftsleute. Achilles Kinder führen dieses Erbe des Firmengründers fort. Luigi leitet das Unternehmen mit rund 1,5 Milliarden Euro Umsatz, seine Geschwister Ignazio und Maria Ludovica sitzen im Vorstand. Eines der Maramotti-Prinzipien lautet seit jeher: Diskretion. Und bloß kein Tamtam. Keine prominenten Designer, die entwerfen. Und keine Celebrities, die die Mode bewerben.

Als Karl Lagerfeld, Jean-Charles de Castelbajac, Domenico Dolce und Stefano Gabbana für Max Mara designten, war das noch lange kein Grund, ihre Namen nach außen zu kommunizieren. Seit Ende der 1980er-Jahre designt der Kreativdirektor Ian Griffiths, ein gebürtiger Londoner, ohne großes Aufhebens für Max Mara.

Ob man sich heute angesichts des Wirbels um Stardesigner wie Raf Simons oder Nicolas Ghesquières nicht unter Druck fühlt, einen prominenten Namen zu verpflichten? Lusuardi wischt diesen Gedanken mit einem selbstbewussten Kopfschütteln beiseite: "Überhaupt nicht!"

Promis bei Max Mara

Ohne Zugeständnisse an den Zeitgeist kommt aber auch der Mantelspezialist nicht mehr aus. 2013 engagiert das Unternehmen das erste Mal einen Promi: Nach Jennifer Garner ziert jetzt nicht nur das Model Freja Beha Erichsen, sondern auch die Schauspielerin Amy Adams eine Kampagne. Sie wirbt für die Accessoires. Bei Max Mara macht dieses Segment bislang rund 20 bis 25 Prozent aus, bei vielen Unternehmen in der Luxusbranche entspricht das in etwa dem Anteil der Mode.

Warum also jetzt Celebrities? "Wir sind ja weniger für unsere Taschen bekannt und haben die Accessoires auf eine junge Art und Weise kommunizieren wollen", erklärt Nicola Maramotti. Das angeheiratete Familienmitglied, groß, blond, sitzt in einem blauen Overall in ihrem aufgeräumten Büro im Headquarter von Max Mara. Sie hat Ignazio Maramotti, den Sohn des Firmengründers Achille Maramotti, in ihrer Zeit als Geschäftsführerin des Wempe-Geschäfts an der Fifth Avenue kennengelernt. Heute hat sie vier Kinder mit ihm und verantwortet den Vertrieb von Max Mara für Europa.

Die gebürtige Deutsche wäre aber keine Maramotti, wenn sie nicht zu relativieren verstünde: "Diese Schauspielerinnen sind Mütter und normale Frauen, die Job und Familie managen müssen." Ein klares Bekenntnis zum Glamour klingt anders. (Anne Feldkamp, RONDO, 18.3.2016)