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Auch in der modernen Molekulargenetik ist das experimentelle Arbeiten von Gregor Mendel gegenwärtig. Statt Erbsen züchten Forscher heute Modellorganismen wie die Arabidopsis (im Bild).

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Gregor Mendel (1822–1884): der "Vater der Genetik".

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Wien – Am Anfang stand die Neugier. Der junge Mann war als begabter Bauernsohn 1840 an die Universität Olmütz gekommen. Er studierte Philosophie und Physik und trat noch während dieser Zeit als Novize dem Augustinerorden in Brünn bei. Letzterer Entschluss dürfte seiner finanziellen Notlage geschuldet gewesen sein.

Gregor Johann Mendel wurde zwar zum Priester geweiht, eignete sich aber nicht als Seelsorger. Für die Naturwissenschaften dagegen zeigte er großes Talent. Die Kirche ließ ihn in Wien weiterstudieren, unter anderem bei Professor Christian Doppler. Nach seiner Rückkehr ins Brünner Stift widmete sich Mendel der Meteorologie und der Biologe. Sein besonderes Interesse galt der Vererbung. Der Mönch führte eine Reihe Kreuzungsversuche durch, dank deren Ergebnissen er als einer der Begründer der modernen Genetik zu Weltruhm gelangen sollte – wenn auch erst Jahrzehnte nach seinem Tod.

Mendel war ohne Zweifel ein Ausnahmegelehrter, der gleichwohl im Abseits arbeitete. Sein Studienbericht mit dem Titel "Versuche über Pflanzen-Hybriden" erschien 1866 in den Verhandlungen des naturforschenden Vereines in Brünn, ein wenig beachtetes Fachjournal. Ab 1900 wurde Mendels Werk allerdings von mehreren Wissenschaftern wiederentdeckt und weitergeführt. So entstand die "Chromosomentheorie der Vererbung".

"Auch heute noch, in der Molekulargenetik, sind das Mendel'sche experimentelle Vorgehen und sein Denken immer noch gegenwärtig", sagt der Biologe Dieter Schweizer von der Universität Wien. Anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums der Publikation findet am 17. und 18. März an der Akademie der Wissenschaften in Wien das Symposium "150 Jahre Mendelsche Regeln – vom Erbsenzählen zum Gen-Editieren" statt.

Kreuzung nach Plan

Der Schlüssel zum wissenschaftlichen Durchbruch war die Erbse, botanisch Pisum sativum. Ihre Pflanzen bringen unterschiedlich gefärbte Blüten und Schoten hervor, die Samen können glatt oder runzlig sein, und auch in anderen Merkmalen zeigt sich eine erhebliche Varianz. Um herauszufinden, wie diese Eigenschaften von einer Generation auf die nächste übertragen werden, kreuzte Mendel einige Tausend Erbsenpflanzen nach streng geordneten Schemata miteinander. Der daraus hervorgehende Nachwuchs sollte ihm Einblick in den Vererbungsmechanismus ermöglichen. Und der Plan ging auf.

Mendel stellte fest, dass die Merkmale der Elternpflanzen nicht, wie damals angenommen, einfach vermischt an alle Nachkommen weitergereicht werden. Stattdessen zeigten sich klare Verteilungsmuster. Kreuzte er eine Pflanze mit violetten Blüten mit einem weißblühenden Exemplar, trugen alle Tochtergewächse dieser sogenannten F1-Generation Violett. Farbmischungen mit rosa Blumen traten nicht auf. Bei Selbstbestäubung von F1-Pflanzen jedoch entwickelten drei Viertel ihrer Nachkommen violette Blüten und ein Viertel weiße. Die Weißblütigkeit hatte offenbar eine Generation übersprungen. Rosa Blüten blieben weiterhin aus.

Insgesamt studierte der Brünner Ordensmann die Vererbung von sieben verschiedenen Erbsenpflanzenmerkmalen und wertete die Ergebnisse statistisch aus. Er analysierte dabei auch, ob bestimmte Eigenschaften stets gekoppelt auftreten. Doch nicht alle gelben Samen waren auch immer runzlig und Grün nicht unbedingt Garant für glattrunde Erbsen.

Zum Vergleich führte Mendel auch zwei Versuchsreihen mit Bohnenpflanzen der Gattung Phaseolus durch. Hierbei ergaben sich einige interessante Abweichungen: Bohnenblüten der F1-Generationen können durchaus Mischfarben zeigen. Rosa eben. Die Summe der Beobachtungen mündete in die Festschreibung von drei klaren Prinzipien, die heute als die Mendel' schen Gesetze bekannt sind: die Uniformitätsregel, die Spaltungsregel und die Unabhängigkeitsregel.

Vielfalt ist Trumpf

DNA, Gene, Gameten und Chromosomen waren der Wissenschaft Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht bekannt. "Die Biologie befasst sich meistens mit Dingen, die man sehen kann", sagt der Pflanzengenetiker Magnus Nordborg vom Gregor-Mendel-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Mendel dagegen konnte gar nicht wissen, was genau hinter den von ihm entdeckten Gesetzmäßigkeiten stand.

Seine Arbeit war hypothesengeleitet und somit stark beeinflusst durch seine Wiener Universitätsausbildung in den Bereichen Mathematik und Physik, betont Dieter Schweizer. Aus Mendels Studien lassen sich grundlegende Prozesse der Vererbung ableiten.

Die Uniformitätsregel zum Beispiel besagt, dass die Nachkommen von reinerbigen Eltern, in diesem Fall violett- und weißblütige Erbsen, alle den gleichen Phänotyp, sprich Habitus, haben. Alle Blumen sind violett. Dieser Effekt beruht auf der Dominanz bestimmter Anlagen, der Genotypen.

In der zweiten Generation kann sich jedoch die nichtdominante Eigenschaft bei einem Viertel der Individuen wieder durchsetzen, weil sich in ihnen zwei sogenannte rezessive Gene kombinieren. Die Blüten werden weiß. Ähnliche Verteilungsverhältnisse treten auch bei den späteren Generationen auf. Jeder Elternteil trägt schließlich von jedem Gen zwei Kopien in sich. Diese werden im Zuge der Reifeteilung (Meiose) einzeln auf die daraus hervorgehenden Gameten, die Geschlechtszellen, verteilt – was der Kernaussage der Spaltungsregel entspricht. Für die Nachkommen ergeben sich somit vier verschiedene Kombinationsmöglichkeiten. Bei den Bohnenpflanzen mit ihren quasi gleichberechtigten Farbgenen führt dieses Prinzip in der F2-Generation zur Entstehung von violetten, rosa und weißen Blüten. Verhältnis 1:2:1.

Die nichtgekoppelte Vererbung unterschiedlicher Merkmale wie Gestalt und Farbe der Samenkörner ist die Grundlage der Unabhängigkeitsregel. Der Effekt beruht auf die Rekombination von Genen nach dem Zufallsprinzip. Das heißt: Die Information im Erbgut ist auf mehrere Trägereinheiten verteilt, die Chromosomen. Diese wiederum werden bei der Befruchtung in unterschiedlichen Kombinationen zusammengewürfelt. Vielfalt ist Trumpf und eine der Triebkräfte der Evolution.

Das Gesamtbild der modernen Genetik ist natürlich um einiges komplexer. Nicht jede Vererbung folgt den Mendel'schen Gesetzen. Manche Merkmale gelangen nur bei gleichzeitigem Auftreten mehrerer Genotypen zur Ausprägung, und Mutationen können völlig neue Eigenschaften hervorbringen. Solche Prozesse studieren heutige Wissenschafter wie Magnus Nordborg bevorzugt an anpassungsfähigen Modellorganismen wie der Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana. Doch auch ihre Forschungen basieren noch immer auf den Versuchen jenes bescheidenen Mönchs im Brünner Klostergarten, dessen Neugierde die Welt veränderte. (Kurt de Swaaf, 16.3.2016)