Am Tag danach will niemand so recht glauben, dass, wie behauptet, der russische Teilabzug aus Syrien in Absprache mit Präsident Bashar al-Assad erfolgt: Wenn das so wäre, dann hätte es wohl eine gleichzeitige Bekanntgabe in Moskau und Damaskus gegeben. Man braucht keinen Bruch zwischen Russland und Syrien herbeizufantasieren, aber mit der Reduktion seiner militärischen Rolle setzt Moskau allen – zuletzt immer öfter geäußerten – Träumen Assads ein Ende, dass er für seine militärische Errettung keinen politischen Preis zahlen müssen wird.

Wladimir Putin verwandelt die Frontgrenzen in Syrien in politische Grenzen und macht damit die syrische Opposition zu einem Verhandlungspartner, den Assad ernst nehmen muss. Damit ermöglicht er auch den USA, ihrerseits mehr Druck auf ihre eigenen Verbündeten auszuüben, deren "Njet" zu allem ja bisher ebenso laut war wie das des Regimes.

Saudi-Arabien, das sich soeben durch Jeffrey Goldbergs Barack-Obama-Feature in The Atlantic in die Ecke der "Trittbrettfahrer" gestellt sieht – während Putin darin zumindest persönlich besser als erwartet wegkommt -, kommt das Argument abhanden, dass die Waffenpause in Syrien ein russischer Trick sei, um Assad weitere militärische Gewinne zu verschaffen. Ähnliches gilt für die Türkei, der immer mehr dämmert, dass die USA und Russland in Syrien, bei allen fundamentalen Unterschieden, an einem Strang ziehen insofern, als sie eine politische Lösung wollen.

Warum tun sie das? Für Obama wäre eine Befriedung Syriens das Ende einer Geschichte, die den US-Präsidenten – auch das entnimmt man The Atlantic – persönlich belastet: das vielkritisierte Ausbleiben der US-Intervention gegen Assad im Sommer 2013. Und Putins allgemeine politische Beweggründe und Machtprojektionen einmal beiseitegelassen: Für den russischen Präsidenten bedeutet der nahende Abgang Obamas die Gefahr, die Chance zu verpassen, aus dem syrischen Sumpf wieder herauszukommen: Wer weiß, wie das Verhältnis zur nächsten US-Regierung aussieht und welche Folgen das hat? Nicht nur für die USA, auch für Russland ist die Gefahr eines "zweiten Afghanistan" in Syrien stets präsent. Ein zu langes Engagement in Syrien wäre in Russland auch keineswegs populär. Und nach der Bekanntgabe des Teilabzugs stieg erst einmal sofort der Rubel.

Putin will die Früchte seiner Syrien-Intervention ernten – und Assad stellt fest, was er schon früher gewusst haben könnte: dass es dabei nicht nur um ihn geht. Putin, der seinen Plan einer geeinten Front gegen den "Islamischen Staat" nicht aufgibt, ist nicht bereit, für Assad seine Beziehungen zu den Golfarabern ins Bodenlose zu verschlechtern. Zuletzt wurde zwischen Riad und Moskau ja auch an der Stabilisierung des Ölpreises gearbeitet.

In Saudi-Arabien wird es Genugtuung hervorrufen, dass die in Teheran geäußerte Freude über den russischen Rückzug vielleicht nicht gar so hell ist: Denn die Frage könnte auch an alle anderen äußeren Akteure – eben auch an den Iran und die schiitischen Milizen, inklusive der libanesischen Hisbollah – gestellt werden, ob es nicht Zeit ist, einen Schritt aus Syrien heraus zu machen. Und wenn sich die Iraner weigern, könnte dies das jüngste Tauwetter zwischen der Türkei und dem Iran beenden, wogegen weder Russland (wegen der Türkei) noch Saudi-Arabien (wegen des Iran) etwas hätte. (Gudrun Harrer, 15.3.2016)