Wien – Im März des vergangenen Jahres hat sich die Republik Österreich 557 Millionen Euro von Anlegern geholt. Es wurde vereinbart, dass das Land in fünf Jahren 550 Millionen Euro zurückzahlt. Österreich verdient also Geld damit, sich zu verschulden. Der Zins, der Preis des Geldes, wird immer öfter negativ, der Kapitalismus steht kopf. Aber wie kann das sein? Und was heißt das alles für den Otto Normalverbraucher?

Um das zu verstehen, hilft es, die Welt in zwei Planeten aufzuteilen. Auf dem ersten Planeten, nennen wir ihn Pecunia (das lateinische Wort für Geld), tummelt sich vor allem die Finanzwelt. Also etwa Banken, Fonds, aber auch sehr große Unternehmen. Den zweiten Planeten nennen wir einfach Erde. Hier leben die meisten Menschen, sie geben ihr Geld für den Einkauf aus, nehmen sich Kredit für das Haus oder sparen für ein Auto an. Die Welt steht vor allem auf dem Planeten Pecunia kopf, auch wenn das teilweise zur Erde rüberschwappt. Der Reihe nach.

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Sorgt immer wieder für Proteste: der Kapitalismus. Derzeit neigt er schlicht dazu, alle zu verwirren. Er spielt verrückt. Da können Schulden schon einmal Geld bringen.
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Was ist auf Pecunia los? Zunächst einmal gehen die Zinsen seit Jahrzehnten zurück. Das liegt einerseits daran, dass die Notenbanken die Inflation immer besser im Griff haben. Wenn die Inflation bei zehn Prozent liegt, müssen auch die Zinsen hoch sein. Die Inflationsrate ist in den vergangenen Jahrzehnten aber stetig zurückgegangen. Das erklärt aber nur einen Teil. Über den zweiten sind sich Fachleute uneins, es ist aber klar, dass irgendetwas im Wirtschaftssystem falsch läuft. Eine Theorie ist etwa, dass es zu viele Ersparnisse gibt und man immer weniger damit anzufangen weiß.

Seit der Krise spielt noch etwas hinein: Um die Konjunktur anzukurbeln, senken die Zentralbanken die Zinsen massiv. Weil die Zinsen in der Vergangenheit aber bereits von allein stark zurückgegangen sind, sind die Notenbanken schnell bei null angekommen. Die EZB verschenkt mittlerweile Geld an Banken, damit sie es verleihen. An Institute, die besonders viele Kredite vergeben, will die Notenbank sogar negative Zinsen auszahlen, sie also belohnen.

Gleichzeitig ist die EZB die "Bank" für Banken. Parkt etwa Raiffeisen Geld bei der EZB, liegt der Zins dafür mittlerweile bei -0,4 Prozent. Die Bank wird also bestraft. Das ist hochumstritten und mit dafür verantwortlich, dass die Aktienkurse von Banken heuer so drastisch eingestürzt sind. Denn Banken müssen ihr Geld irgendwo anlegen, wenn sie nicht hunderte Milliarden in Tresoren verstauen wollen. Das würde wesentlich mehr kosten.

Das führt dazu, dass Banken das Geld großer Unternehmen teilweise nicht mehr annehmen. In Österreich macht das bisher nur die Raiffeisen Bank International, die Firmen achtstellige Beträge nicht mehr kurzfristig anlegen lässt. Die Erste Bank denkt darüber nach. Bei der EZB ist man sich der Nebenwirkungen bewusst. Mario Draghi kündigte vergangene Woche an, dass die Zinsen wohl nicht mehr weiter sinken werden.

Der Herr der Zinsen: EZB-Präsident Mario Draghi.
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Gleichzeitig verdienen Länder mit einer guten Bonität wie Österreich oder Deutschland daran, sich zu verschulden. Dabei gilt immer: Anleger, die diesen Deal eingehen, verlieren nur dann Geld, wenn sie die Papiere bis zum Ende der Laufzeit halten. Verkaufen sie sie vorher zu einem höheren Kurs, können sie einen Gewinn machen. Pensions- oder Staatsfonds sind darüber hinaus oft dazu gezwungen, ihr Geld nur in sehr sichere Papiere anzulegen, auch wenn sie negativ verzinst sind. Das Geld in bar zu halten würde noch mehr kosten.

Pecunia steht also kopf. Wo das langfristig hinführt, weiß niemand: Die einen glauben, das hilft der Wirtschaft, die anderen sehen darin die Ursache für die nächste Krise. Aber was heißt das alles für den Planeten Erde, wo Menschen ihrem normalen Alltag nachgehen? Wer sich heute einen Kredit für ein Haus nimmt, zahlt dafür weiter Zinsen. Sie sind aber niedriger als in der Vergangenheit.

Ein Schreiben der Bank Austria an einen Kunden mit Fremdwährungskredit. Die Bank teilte mit, keine Negativzinsen an weitergeben zu wollen. Ob das rechtens ist, geht jetzt durch die Instanzen. Den ganzen Brief gibt's hier zum Downloaden.
Foto: Brief der Bank Austria

Es gibt aber Sonderfälle: Vor längerem abgeschlossene Frankenkredite hängen an bestimmten Zinssätzen, die mittlerweile negativ sind. Der Franken-Libor liegt etwa bei -0,8 Prozent. Wurde ein Aufschlag von 0,75 Prozent vereinbart, müsste der Kreditnehmer eigentlich Zinsen von der Bank bekommen. Die Banken weigern sich, Gerichte müssen entscheiden. Wer sein Geld auf ein Sparbuch legt, muss laut OGH zumindest minimale Zinsen bekommen. Negativzinsen sind also illegal. (Andreas Sator, 16.3.2016)