Es war einmal ein Kaiser. So begann Joseph Roth im Jahre 1920 ein Feuilleton über das Begräbnis von Franz Joseph I. Es gipfelte in dem Satz:

"Die kalte Sonne der Habsburger erlosch, aber es war eine Sonne gewesen."

Sehr viel genauer kann man das Wesen der Habsburger und vor allem das Wesen von Franz Joseph nicht beschreiben, als es Roth, der jüdische Literat aus dem Städtchen Brody in Ostgalizien, mit diesen Worten tat. Ein Zentralgestirn, das leuchtete, aber nicht wärmte. Später schuf Roth mit demRadetzkymarsch eines der wichtigsten Werke der österreichischen Literatur. Das Feuilleton mit dem Titel Seine k. u. k. Apostolische Majestät ist schon eine Vorahnung.

Begräbnis von Franz Joseph im November 1916. Näheres zum Film finden Sie auf: http://www.europeanfilmgateway.eu/
pumberger

Franz Joseph I. ist vor 100 Jahren (genauer: am 21. November 1916) gestorben. Man weiß heute von ihm und seinem Reich viel mehr als noch vor zehn, zwanzig Jahren, die historische Forschung hat ihn gut eingeordnet, es kommen auch immer noch neue Dokumente ans Licht.

Wegscheide der Geschichte

Seine Bedeutung für uns heute liegt in seiner besonderen Stellung an einer Wegscheide der Geschichte: ein seit Ewigkeiten regierender Vertreter eines alten Systems, konfrontiert mit einer Zeitenwende zu unüberschaubaren, angsterzeugenden neuen Verhältnissen und Verlust alter Sicherheit – kommt bekannt vor.

Dabei bleibt dieser Monarch, der 68 Jahre lang ein riesiges europäisches Reich mit zuletzt 52 Millionen Einwohnern und einem Dutzend Sprachen regierte, immer noch rätselhaft.

Karl Kraus, ein anderer Großer der österreichischen Literatur und ebenfalls sein Zeitgenosse, hat 1920 in einem Gedicht die Frage nach dem Wesen dieses Kaisers gestellt:

Franz Joseph bei der Enthüllung des Kaiser-Jagdstandbild-Denkmals in Bad Ischl im Jahr 1910.
Österreichische Nationalbibliothek/Schumann

Wie war er? War er dumm? War er gescheit?

Wie fühlt' er? Hat es wirklich ihn gefreut?

Wollt' er den Krieg? Wollt' eigentlich er nur

Soldaten und von diesen die Montur,

von der den Knopf nur? Hatt' er eine Spur

von Tod und Liebe und vom Menschenleid?

Nie prägte mächtiger in ihre Zeit

jemals ihr Bild die Unpersönlichkeit.

Unpersönlichkeit? Oder doch eine ambivalente Persönlichkeit?

Auf der einen Ebene war der Kaiser ein trockener Pedant mit einem eher überschaubaren Gefühlshaushalt. Kein politisches Genie. Wie es der ehemalige tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg, dessen Vorfahre Regierungschef und Mentor des jungen Kaisers war, ausdrückte: "Ein typischer österreichischer Beamter."

Persönlich langweilig, eher kalt, in Adelskreisen hatte er den Spitznamen "Löschhütl" (ein Gerät, mit dem man Kerzen ausdämpfte). Allerdings konnte fast jeder mit einem Anliegen zu ihm in Audienz kommen und ging oft auch zufrieden weg.

"Die allerhöchste Kaiserfamilie" 1860: Franz Joseph (li.), sein Bruder Maximilian (später "Kaiser von Mexiko") mit Frau Charlotte, die Erzherzöge Ludwig Victor und Carl Ludwig (re.). Vorne: Elisabeth mit den Kindern Rudolf und Gisela, die Kaisereltern Sophie und Franz Carl. Es ist das einzige echte Foto, auf dem Franz Joseph und seine Frau "Sisi" gemeinsam zu sehen sind
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Vor allem aber hatte Franz Joseph ein für heute geradezu atemberaubendes Selbstverständnis von seiner mystischen "Sendung", von seiner Stellung in der irdischen und, ja, himmlischen Ordnung der Dinge. Er glaubte wirklich an sein "Gottesgnadentum". Gott hatte ihn als Kaiser eingesetzt. Er regierte denn auch nach seiner Thronbesteigung und einer Revolution, die seine hochadeligen Ausführungsorgane brutal niedergeschlagen hatten, eine Zeitlang absolutistisch.

Ein ganz junger Mann, der einen Haufen Todesurteile (vor allem gegen aufständische Ungarn) unterschrieb und dessen Wille eine Zeitlang wirklich Gesetz war. Die bürgerlichen Grundrechte waren aufgehoben. Später musste er, meist nach verlorenen Kriegen, Abstriche machen, Kompromisse eingehen. "Wir werden zwar etwas parlamentarisches Leben bekommen, allein die Gewalt bleibt in meinen Händen", schrieb er 1860 an seine dominante Mutter Sophie, nachdem die Schlacht bei Solferino in Oberitalien unter seinem nominellen Oberbefehl unter fürchterlichen Verlusten verlorengegangen war.

Verfassungstreuer Monarch

Immerhin, so Schwarzenberg: "Für einen Neoabsolutisten war er sehr verfassungstreu." Er wandelte sich vom absoluten zum konstitutionellen Monarchen. Die Folklore hat aus ihm den "gütigen Monarchen" gemacht, den weißbärtigen Opa, der freundlich winkte und die immergleichen Worte huldvoll und leutselig an die Untertanen richtete. Das ist nicht ganz falsch. Aber zum Volk hatte er im Grunde keine echte Beziehung. Nicht weil er es verachtete oder ihm die Leute zu gewöhnlich waren, sondern weil für das Volk in seinem Prinzip des Gottesgnadentums nur eine Rolle als schemenhafter Loyalitätskörper vorgesehen war. Die Pflicht des Volkes war, treu zu sein. Die Pflicht des Herrschers war es, zu herrschen.

Am deutlichsten und am verhängnisvollsten tritt das bei der wichtigsten Entscheidung seines Lebens zutage. Franz Joseph hat letztendlich den Ersten Weltkrieg allein beschlossen.

Keine Volksvertretung debattierte einen so folgenschweren Schritt. Der Kaiser sah auch die Möglichkeit einer Katastrophe, aber wichtiger war die Ehre: "Wenn die Monarchie schon zugrunde gehen soll, so soll sie wenigstens anständig zugrunde gehen", sagte er.

Franz Joseph wurde im Biedermeier geboren, sechs Jahre nach der ersten Pferdeeisenbahn und sieben Jahre vor der ersten Dampfeisenbahn in Österreich. Er starb, als bereits der Luftkrieg tobte. Der Nationalismus, der jetzt wieder Europa bedroht, erlebte in seinem Reich seine erste Blüte. Aber auch die Moderne in Kunst, Literatur, Philosophie, Wissenschaft. "Die lange Regierungszeit Franz Josephs brachte eine Reihe tiefgreifen- der Veränderungen: den Wandel Österreich-Ungarns zu einem Rechtsstaat, die durchgreifende Modernisierung des Staates und die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Männerwahlrechts", schreibt Hans Petschar, der Kurator der Ausstellung "Der ewige Kaiser" in der Nationalbibliothek. Aber: "Trotz all dieser positiven Ergebnisse gelang es während der franzisko-josephinischen Zeit jedoch nicht, die Grundprobleme der Friedensepoche vor 1914 einer Lösung zuzuführen."

Karl Vocelka, der Kurator der Schönbrunn-Ausstellung "Mensch & Herrscher "und Autor einer lesenswerten, 2015 bei C. H. Beck erschienenen Biografie, schreibt zum Franz-Joseph-Kult: "Eingebunden in die lange zurückreichende Tradition der Habsburger wurde der Kaiser schon zu seinen Lebzeiten stilisiert: in verschiedenen Uniformen, im Ornat des Ordens vom Goldenen Vlies, oder in Jagdkleidung."

Der Historiker Karl Vocelka , Kurator der Ausstellung "Mensch & Herrscher" in Schloss Schönbrunn, erläutert die Darstellung des Monarchen, der sowohl als Mensch wie als Herrscher mehr durch seine lange Regierungszeit als durch persönliche Erfolge hervorgetreten ist. Vocelka ist gemeinsam mit seiner Frau Michaela auch Autor der Biographie: "Franz Joseph I.Kaiser von Österreich und König von Ungarn 1830-1916" (2015, C.H.Beck).
derstandard.at/fischer

Imperialer Prunk

Diese Stilisierung wird nun in mehreren großen Ausstellungen nachvollzogen. Die Exponate reichen von persönlichen, recht banalen Gebrauchsgegenständen bis zu imperialem Repräsentationsprunk.

Dabei kommen Aspekte in den Vordergrund, die das Bild vom persönlich anspruchslosen, bescheidenen Kaiser relativieren. Franz Joseph führte selbst kein ausschweifendes Leben, aber was notwendig war, um das Bild imperialer Größe nach außen zu projizieren, das wurde bereitgestellt.

Kaiser Franz Joseph im Jahr 1914.
Foto: ÖNB / Kosel

Das sieht man besonders in der Ausstellung in der Schönbrunner Wagenburg: Er selbst fuhr sozusagen werktags in einer bescheidenen Kutsche zwischen Schönbrunn und der Hofburg hin und her. Aber die sogenannte Fronleichnamskarosse für die Ausfahrt an diesem katholischen Hochfest hatte ein vergoldetes Geschirr für die acht Gespannpferde, das Unsummen kostete.

Überhaupt die Pferde: Der Kaiser war ein ausgezeichneter Reiter, bis ins hohe Alter, und hat in seinem langen Leben 105 edle Rösser "durchgeritten" (so lange benutzt, bis sie nicht mehr "dienstfähig" waren). Für höchste Staatsauftritte wurden zwischen Monstrosität und Kunstwerk schwankende Objekte aufgefahren, wie etwa der gewaltige schwarze Hofleichenwagen oder der riesige, goldene "Imperialwagen", mit dem Kaiserin Elisabeth bei der Krönung ihres Gemahls zum ungarischen König im Juni 1867 daherrollte. Das Rokoko-Gefährt wurde extra zerlegt und auf der Donau nach Budapest gebracht. Die Krönung selbst, ein hochpolitischer Akt, um die Ungarn ans Reich zu binden, war mit einem unfassbaren Aufwand verbunden. Nur ein Detail: die großgewachsenen Adeligen, aus denen seine ungarische Leibgarde gebildet war, hatten zu ihren reichen Uniformen noch jeder ein echtes Leopardenfell umhängen (Modell in der Wagenburg).

Mario Döberl, Kunsthistorisches Museum, Kurator der Ausstellung "Repräsentation & Bescheidenheit" in der Wagenburg von Schönbrunn, erläutert die Uniformen des Kaisers, die Grand Toilettes der Kaiserin "Sisi" und die reiche Auswahl des imperialen wie persönlichen "Fuhrparks".
fischer

Ein Kaiser muss manchmal auch das Bild eines Kriegers projizieren. Nicht auszudenken, wenn Franz Joseph bei der zeremoniellen Krönungsübung, einen Hügel aus heiliger magyarischer Erde hinaufzugaloppieren und vier Schwertstreiche in alle Himmelsrichtungen zu führen, schlecht ausgesehen oder gar vom Pferd gefallen wäre. Aber er war eben ein guter Reiter. Und ein guter Schütze: Seine private Lieblingsbeschäftigung, die Jagd, schlug mit 50.000 erlegten Stück Wild zu Buche (sein frustrierter Thronfolger Franz Ferdinand brachte es in kürzerer Zeit auf 270.000 Stück).

Franz Joseph liebte das Militär, trug fast immer Uniform, meist die eines österreichischen oder ungarischen Feldmarschalls. Einige sind in der Wagenburg zu sehen. Ein Kaiser muss auch tadellos gepflegt sein, er gab das Monatsgehalt eines Oberbereiters der spanischen Hofreitschule für den Friseur aus.

Die vielen Kaiserporträts, die in späteren Jahren vor allem als Fotografien in Umlauf gebracht wurden, waren Instrumente des Mythos. Hier war die sonst so reaktionäre Monarchie modern. Fast noch ausgeprägter war der Kult, den die auffällig schöne "Sisi" mit ihren Bildnissen trieb. Aber es ist nur ein einziges Foto bekannt, das sie gemeinsam mit ihrem Gatten und ihren Kindern zeigt. Alles andere waren Collagen. Sisi verweigerte sich dem Bild – ein Symbol für diese dysfunktionale Ehe von gegensätzlichen Charakteren unter nahen Verwandten (die Mütter der beiden waren Schwestern).

"Aus den letzten Lebensjahren weiland Sr. Majestät des Kaiser Franz Josef I." – Zu sehen ist: Schönbrunn, Kaiser Franz Joseph bei einer Fronleichnamsprozession, auf Inspektionsreise in St.Pölten, bei der Hochzeit von Erzherzog Karl mit Erzherzogin Zita und im Gespräch mit Thronfolger Franz Ferdinand auf Schloss Wartholz. Näheres zum Film finden Sie auf: http://www.europeanfilmgateway.eu/
pumberger

Die Hochzeit (in der Schönbrunn-Ausstellung liegt ihr goldener Brautschmuck) war zwar ebenfalls ein immens prunkvolles Staatsereignis, aber die 16-jährige Braut weinte fast ununterbrochen und floh bei der formellen Gratulationstour aus dem Saal. Die Ehe zwischen Cousin und Cousine wurde erst am dritten Tag physisch vollzogen. Der Rest war ein jahrzehntelanges Unglück.

Sisi stürzte sich in Reisen, ihren Schönheitskult (nach dem 35. Geburtstag ließ sie sich nicht mehr fotografieren; in der Wagenburg steht ein Kleidermodell mit ihrer absurden Wespentaille) und aristokratischen Extremsport: im Damensattel auf Parforcejagden über Stock und Stein.

Franz Joseph und Katharina Schratt bei einem Spaziergang, um 1895.
Foto: Österreichische Nationalbliothek/Floeck

Der Kaiser sah sich anderwärts um. Gut dokumentiert (auch durch Briefe in den zwei Ausstellungen) sind seine Beziehungen zu Hofschauspielerin Katharina Schratt (eingefädelt von Sisi selbst!) und einer verheirateten Frau namens Anna Nahowski, die er beim Spazieren im Schönbrunner Schlosspark ansprach. Beide bekamen Unsummen (zweistellige Euro-Millionenbeträge) an "Liebesgaben". Als Liebhaber war er auch nicht unanstrengend: Zu Nahowski kam er meist um vier Uhr früh. Alles in allem war er wohl eine "tragische Figur" (Schwarzenberg), privat wie politisch. Wenn man die Zeitumstände einbezieht, muss man aber auch seine Leistungen würdigen: Österreich-Ungarn war ein Rechtsstaat (was z. B. im Kommunismus in den ehemaligen Kronländern noch positiv vermerkt wurde). Franz Joseph selbst war letztlich gerecht, er griff ein, als ein jüdischer Handlungsgehilfe in einem antisemitischen Mordprozess skandalös behandelt wurde.

Er machte zwar selbst manchmal abfällige Bemerkungen über "Börsenjuden", behandelte die Juden generell aber als Gleichberechtigte. Er fühlte sich eben als Schutzherr "seiner" Völker. Es gelang ihm allerdings nicht, die unterschiedliche Behandlung dieser Völker zu beenden. Schwarzenberg: "Es gab drei Nationenklassen: privilegierte Deutsche und Ungarn, mittelprivilegierte Tschechen, Italiener und Polen, unterprivilegierte Slowenen, Rumänen, Kroaten."

Sein größter Nachteil: Er hatte keine Vision, keine neuen Ideen, blieb im Traditionellen stecken.

"Er hätte einen Staatsstreich machen müssen", sagt Schwarzenberg. "Neue Verfassungen, allgemeines Wahlrecht auch in Ungarn, gleichberechtigte Nationen. Aber das traute er sich nicht."

(Hans Rauscher, 27.3.2016)