Wien – Es ist ein weiter Weg von der nüchternen Ameisgasse in Wien-Penzing hinüber auf den New Yorker Broadway. Die ursprünglich bettelarme Fuhrmannstochter Karoline Blamauer beschritt ihn furchtlos. Als Lotte Lenya (1898-1981) wechselte sie nach Berlin, als Seeräuberjenny wurde sie prompt zur Sensation der Dreigroschenoper (1928).
Lenya verkörperte den neu-sachlichen Frauentyp. Ihrem Moritatengesang lässt sich ein eiserner Überlebenswillen abhören. Von der Lenya lernen heißt, einer als unzulänglich durchschauten Welt die Stirn zu bieten, ohne sich dabei etwas zu vergeben.
Andrea Eckerts Lotte-Lenya-Abend Seeräuberjenny ist brecht'sch im besten Sinne. Die große Schauspielerin tut im Wiener MuTh nicht etwa so, als wäre sie eine Diseuse. Eckert gebietet nicht über den Charme der Gosse. Eher gleicht sie einer melodramatischen Person, die Edelsteine aus dem Rinnsal fischt. Die Brecht-Songs gleißen und funkeln in ihrer Interpretation (am Klavier: der famose Benjamin Schatz).
Eckert kann eine Sekunde lang innehalten, wenn sie auf das berühmte "ship with eight sails" wartet. Und wenn der Kopf eines der Übeltäter schließlich in den Staub fällt, sagt sie als Unschuld in Person: "Whoops!" Eckert verwandelt die Grausamkeit Lotte Lenyas in eine Begebenheit aus dem Wiener Jugendstil: hinreißend. Sie durchmisst das Leben der Anderen in Siebenmeilenstiefeln. Lächelt verschmitzt, singt von ihrem "Muatterl", das "a Weanerin" war.
Eine "Lebensreise der großen Lotte Lenya in ihren Liedern" ist es geworden. Der Weg vom Broadway zurück, in den Wiener Augartenspitz, gleicht einer Heimkehr. (Ronald Pohl, 13.3.2016)