67 Jahre lang war Leo die große Liebe von Norma aus dem US-Bundesstaat Michigan. 67 Jahre lang waren die beiden ein gut eingespieltes Team, das im August vergangenen Jahres abrupt auseinandergerissen wurde. Leo starb, zwei Tage später wurde bei Norma Gebärmutterkrebs diagnostiziert. Operation, Medikamente, Chemotherapie. Die Ärzte gaben den Fahrplan klar vor.

Doch Norma spielte nicht mit. "Ich bin 90 Jahre alt. Ich mach mich auf den Weg", sagte die 1,52 Meter große und 46 Kilogramm leichte Frau mit bestimmender Stimme, wie sich ihre Schwiegertochter heute erinnert. Doch mit dem "Weg" war nicht die Fahrt in ein Hospiz gemeint. Weit gefehlt. Der "Weg" ist ein Roadtrip durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Im Wohnwagen ihres Sohnes Tim und dessen Frau Ramie, die seit ihrer Pensionierung auf Achse sind.

Miss Norma und ihr Sohn Tim.
Foto: Driving Miss Norma, privat

"Habt eine fantastische Reise"

Für die beiden war klar, dass sie die Entscheidung der 90-Jährigen unterstützen wollen. Doch sie wollten sich absichern und baten um den Segen des Arztes. "Sie machen exakt, was ich in dieser Situation machen würde", so der Mediziner: "Als Ärzte sehen wir täglich, welche Auswirkungen eine Krebsbehandlung hat. Es gibt keine Garantie, dass sie überhaupt die erste Operation überlebt. Habt eine fantastische Reise!"

Und so wurde ließ Norma ihr Haus hinter sich, ein größerer Wohnwagen wurde angeschafft und der Zündschlüssel umgedreht. "Wir konnten es nicht erwarten, die Einfahrt zu verlassen", erinnert sich Ramie im Gespräch mit dem STANDARD heute. Norma ging es gesundheitlich schlecht, das Paar wollte sie zumindest noch bis zu "Mount Rushmore" bringen. Niemand wusste, wie lange die Reise überhaupt gehen würde.

Die 90-Jährige hat im Moment keine Schmerzen.
Foto: Driving Miss Norma, privat

Lauter "erste Male"

Ein halbes Jahr später hat Norma keine Einschränkungen durch ihre Krankheit und erlebt noch immer Premieren: Ein Besuch im Disney World – laut Tim war sie mit Abstand die älteste Besucherin – eine Pediküre – "Nur, wenn Tim auch mitmacht" – und eine Fahrt im Heißluftballon. Letztere war ein langgehegter Traum von Norma und ihrem Mann. Bis zum Schluss war Leo der Meinung, dass er seiner Frau diesen Wunsch erfüllen konnte. Nach seinem Tod fanden Ramie und Tim in den Sachen des Mannes zig Zeitungsausschnitte von möglichen Fahrten. Ende Jänner erhob sich Norma schließlich in Florida in die Lüfte.

Im Jänner erhob sich Norma endlich mit einem Heißluftballon in die Lüfte.
Foto: Driving Miss Norma, privat

Freiwillige im Zweiten Weltkrieg

Gleichzeitig war aber nicht nur nur die Heißluftballonfahrt eine Reise im Gedenken an ihren verstorbenen Mann. Sowohl Leo als auch Norma erlebten den Zweiten Weltkrieg als Erwachsene. Während Leo als Unteroffizier bei der US-Luftwaffe diente, meldete sich Norma freiwillig als Krankenschwester in San Diego. Bei einem Besuch im Museum über den Zweiten Weltkrieg in New Orleans, wo sie laut Jim "wie eine Königin behandelt wurde", war sich die 90-Jährige sicher: "Leo hätte es hier geliebt." Die beiden hatten nach dem Krieg geheiratet. Das Paar adoptierte schließlich die beiden Kinder Tim und Stacey. Die Tochter starb 2008 an Krebs.

Norma im Weltkriegsmuseum in New Orleans.
Foto: Driving Miss Norma, privat

Die Geschichte geht um die Welt

Die inspirierende Geschichte der 90-jährigen Frau, die sich gerade langsam ihren Weg die Westküste entlang bahnt und laut Tim hofft, "so viele Frühlingsblumen wie möglich zu sehen", verfolgen seit zwei Wochen mehr als 250.000 Menschen via Facebook. Eigentlich hätte die Seite nur für Freunde, Bekannte und Verwandte als Reisetagebuch dienen sollen, doch mittlerweile musste Norma Autogramme schreiben und wurde etwa von einem 25-Jährigen in einem Nagelstudio erkannt. "Wir können dieses Phänomen einfach nicht fassen", erzählt Tim.

Die 90-Jährige folgt im Moment dem Duft der Frühlingsblumen.
Foto: Driving Miss Norma, privat

Ein Gespräch, das man führen muss

In einem Interview mit ABC-News sagte Schwiegertochter Ramie, dass sie hoffe, dass Normas Geschichte auch andere Familien dazu inspiriere, über die Planung am Ende eines Lebens nachzudenken: "Jeder hat eine andere Vorstellung davon, wie das Ende aussehen soll. Wir müssen dieses Gespräch weltweit führen." (Bianca Blei, 15.3.2016)