Wien – Gerhard Botz ist einer der renommiertesten österreichischen Zeithistoriker, ein wissenschaftlicher Querdenker, der als Begründer der Historischen Sozialwissenschaft in Österreich gilt. Die öffentliche Auseinandersetzung hat der Forscher, der mit seiner Arbeit auch immer wieder politischen Zündstoff lieferte, nie gescheut. Am kommenden Montag (14.3.) wird er 75 Jahre alt.
Gerhard Botz wurde am 14. März 1941 in Schärding (OÖ) geboren. Im Laufe seines Studiums der Geschichte kristallisierten sich bald seine bis heute wichtigsten Forschungsschwerpunkte – politische Gewalt und autoritäre Regime – heraus. Abstecher führten ihn aber auch zur Biologie, Sozialstatistik und Filmgestaltung.
Internationale Stationen
1979 wurde er als Professor für Zeitgeschichte nach Salzburg berufen. In einer Zeit, wo "harte Daten" in den Geschichtswissenschaften von seinen Kollegen noch skeptisch beäugt wurden, erregte Botz großes Aufsehen, als er die damals vor allem den Naturwissenschaften vorbehaltene teure Computerausstattung verlangte. Er nutzte sie, um mittels komplexer statistischer Verfahren neue Erkenntnisse über die Zeit der Ersten Republik und des Nationalsozialismus zu erhalten.
Dieser Werdegang fernab "disziplinärer Engstirnigkeit" und die Begeisterung für quantitative Methoden ließen ihn 1982 das Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft gründen, das er bis heute leitet. Zahlreiche Gastprofessuren später (Minnesota, Stanford, Paris) wurde er 1997 Professor für Zeitgeschichte in Wien. 2009 wurde er im Alter von 68 Jahren emeritiert.
Rekonstruktion des "Anschlusses"
Zu Botz' wichtigsten Werken zählen Monografien aus den 1970er Jahren über den "Anschluss" sowie Fallstudien über Wien im Nationalsozialismus. Auch die damals in Österreich noch neue Methode der "Oral History" wurde von ihm maßgeblich mitgeprägt. Seine unkonventionelle Art, auf historische Fragen zuzugehen, machte ihn bei der Erforschung des Justizpalastbrands 1927 zum "Schattenvermesser", wie die "Zeit" schrieb: Mithilfe der Schatten auf historischen Fotografien sowie nachgestellten Vergleichsaufnahmen gelang es ihm, die genaue Chronologie der Ereignisse zu rekonstruieren.
Wissenschaftliches und gesellschaftspolitisches Engagement war im Werk von Botz immer untrennbar verknüpft, der Nationalsozialismus sein wichtigstes Forschungsgebiet – auch im Privaten. Vor allem der frühe Tod seines Vaters 1944 war ein einschneidendes Erlebnis: 60 Jahre später widmete sich Botz seinem Vater als "Nazi und Kriegsopfer" und prägte so laut dem Historiker Ernst Hanisch in exemplarischer Weise "die Auseinandersetzung mit dem Nazivater" für diese Generation von Wissenschaftern.
Widerlegung der "Opferthese"
Aber auch die Auseinandersetzung mit belastender Geschichte auf gesamtgesellschaftlicher Ebene war Botz' Thema: Er focht zahlreiche Kontroversen aus, etwa in der Waldheim-Affäre, und hat mit programmatischen Aufsätzen nationale Mythen wie die "Lebenslüge" der Zweiten Republik, die "Opferthese", wissenschaftlich widerlegt. Wie kein anderer scheint Gerhard Botz, der sich auch mit der Rolle des Historikers in der Öffentlichkeit beschäftigt hat, zum Tabubrechers berufen zu sein: Botz hat sich, wie der Historiker Ulfried Burz es beschrieb, spätestens seit der Waldheim-Affäre auch politisch "unmissverständlich exponiert".
Als "alttestamentarischen Richter", als "Demagogen und Aufklärer" mit ausgeprägter Lust an der Provokation beschrieb ihn etwa Peter Dusek, langjähriger ORF-Archivchef, in der Festschrift zu Botz' 70er. Die öffentliche Debatte pflegt der Historiker bis heute, zuletzt etwa über die geplante Einrichtung des Hauses der Geschichte in der Hofburg mit Ende 2018. (APA, 10.03.2016)