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Janosch, erfolgreichster und bekanntester Bilderbuchkünstler im deutschen Sprachraum, feiert am Freitag seinen 85. Geburtstag.

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"Manche Eltern, Pädagogen und Wissenschafter sehen seine Erziehungsmethoden kritisch. Aber das ist Literatur. Er wollte mit seinen Geschichten niemanden belehren", sagt Janosch-Biografin Angela Bajorek.

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"Oh, wie schön ist Panama" gilt heute bereits als Klassiker der Kinderliteratur. Mit mehr als 300 Büchern, übersetzt in 40 Sprachen, ist Janosch der erfolgreichste und bekannteste Bilderbuchkünstler im deutschen Sprachraum. Hinzu kommen Romane wie die Schlesien-Trilogie und Theaterstücke. Dahinter aber liegt ein Leben, das in bitterster Armut begann und in das viele Verletzungen eingegraben sind. Die polnische Germanistin Angela Bajorek hat dieses Leben nachgezeichnet. Aus hunderten E-Mails, Selbstzeugnissen, Gesprächen und Archivdokumenten verfasste sie die kenntnisreiche und einfühlsame Biografie "Janosch. Wer fast nichts braucht, hat alles" (übersetzt von Paulina Schulz, Ullstein 2016).

STANDARD: Frau Bajorek, er könne sein Leben als die schrecklichste Geschichte der Welt schildern, aber auch als die schönste, sagte Janosch einmal. Was hat Sie bewogen, trotz dieser biografischen Verwirrspiele seine Biografie in Angriff zu nehmen?

Bajorek: Ich fühle mich nicht als Biografin von Janosch, eher als Chronistin. Dieses Buch ist ein Nebenprodukt meiner Habilitation. Es begann damit, dass ich 2011 für eine Konferenz einen Artikel über Janosch schreiben wollte. Zur Recherche fuhr ich nach Zabrze, wo Janosch 1931 geboren wurde und aufwuchs. Dort traf ich Historiker, die ihn kannten und durch seine Besuche in der Stadt Kontakt zu ihm hatten. Später schrieb ich Janosch selbst eine E-Mail, in der ich einen Ausschnitt aus seinem "Magischen Lebenslauf" zitierte. Noch am selben Tag schrieb er mir zurück. Es berührte ihn, dass jemand aus Polen etwas über sein Leben und seine Familie erfahren wollte. Unsere Korrespondenz dauert bis heute an. Im Laufe der Jahre habe ich an die tausend E-Mails von ihm erhalten. In meinem Buch schrieb ich nieder, was er mir erzählte, und fasste es mit dem zusammen, was ich bei meinen Nachforschungen in Zabrze, Paris, München und Teneriffa herausfand.

STANDARD: "Soll man also alles, was er sagt, für die reine Wahrheit halten?", fragen Sie in Ihrem Buch. Wie weit war es Ihnen möglich, Fakten und Geschichten zu entwirren?

Bajorek: Als ich bei Janosch auf Teneriffa war, lachte er, dass ich mittlerweile mehr von seinem Leben wisse als er selbst. Gewisse Fakten und Daten sind seinem Gedächtnis schon entfallen. Mein Buch erzählt die Lebensgeschichte eines für mich faszinierenden Künstlers. Ich wollte ihn in allen seinen Facetten zeigen und keine Skandale, sondern ein wahres Leben darstellen. Natürlich merkte ich, wenn er eine fantasievolle Geschichte erzählte. Aber spielt es eine Rolle, ob dieses oder jenes wirklich passiert ist oder nicht? Manche Geschichten, die er mir aus seiner Kindheit erzählte, finden sich auch in seinen autobiografischen Büchern. Diese traumatischen Erlebnisse prägten ihn. Wenn man als Kind so etwas erlebt hat wie er, kann man das nie wieder vergessen.

STANDARD: Obwohl Janosch der erfolgreichste deutschsprachige Kinderbuchautor ist, äußerte er wiederholt, er habe gar keine Kinderbücher machen wollen. Wie bewerten Sie seinen Blick auf sein Werk?

Bajorek: Seine schriftstellerische Tätigkeit für Kinder machte ihm anfangs viel Spaß. Er betonte auch, dass er die Bücher schrieb, um Geld zu verdienen. Das war sein Beruf. Solange er damit Geld verdienen konnte, machte er das. Er zeigte in diesen Büchern ein Leben, das er nie hatte. Sie sind eine Antithese zu dem wahren Leben, das hinter ihm liegt. Wie er mir sagte, werde ein Kind paradoxerweise innerlich reicher und klüger, wenn es so etwas erlebt habe, als wenn es ein bequemes, sorgloses Leben auf einem Plüschsofa führen dürfe. Hätte er eine idyllische Kindheit gehabt, hätte er seine Kinderbücher nicht geschrieben, und auch seine Romane wären nicht entstanden. Mir gegenüber wiederholte er oft, dass er die Kinderzeit nie verlassen habe und nie die Erwachsenenwelt erreicht habe. Seine Bücher nannte er keine Kunst, sondern einen psychologischen Unfall.

STANDARD: Aufgrund der Ferne zur Realität wurde seinen Kinderbüchern mitunter vorgeworfen, ein sehr konservatives Weltbild zu vermitteln. Teilen Sie diese Ansicht?

Bajorek: Ich würde das nicht so sehen. Janosch hat schöne Geschichten geschrieben. Manche Eltern, Pädagogen und Wissenschafter sehen seine Erziehungsmethoden kritisch. Aber das ist Literatur. Er wollte mit seinen Geschichten niemanden belehren. Auch versuchte er nicht, die Eltern für sich zu gewinnen. Die Eltern kamen zu ihm dank der Kinder. Er steht mit seinen Büchern an der Seite der Kinder, und im Herzen der Kinder haben sie auch einen festen Platz eingenommen. Vielleicht wollte er darauf aufmerksam machen, dass auch ein bescheideneres Leben möglich ist. Der Mensch braucht nicht viel im Leben, um glücklich zu sein. Das ist seine Philosophie: Je weniger man hat, desto glücklicher ist man. Als Kind hatte er nicht viel zu essen. Wenn es Brot gab, war es ein glücklicher Tag. Manchmal hatten sie nur Wasser. Vielleicht fehlt ihm im Leben dieses Einfache, das er in seiner Kindheit hatte. Er lebt auch heute unter einfachen Bedingungen. Manchmal liest man über ihn, dass er Millionär sei. Aber das sieht man nicht. Vielleicht ist er reich in seiner Seele und seinen Gefühlen. Materielles aber hat für ihn keinen besonderen Wert.

STANDARD: Von seinen Romanen meinte Janosch, sie seien dem wirklichen Leben nacherzählt …

Bajorek: Seine Bücher für Erwachsene haben autobiografische Züge. Das gilt für die Romane "Polski Blues", "Cholonek oder Der liebe Gott aus Lehm" und "Von dem Glück, Hrdlak gekannt zu haben", aber auch für "Gastmahl auf Gomera", "Sacharin im Salat" und das Theaterstück "Zurück nach Uskow". Janosch versteckt sich hinter seinen Protagonisten. Er äußert sich nicht direkt. In "Gastmahl auf Gomera" zum Beispiel versetzt er sich in die Rolle des Journalisten Jerzy Skral, der mit Janosch auf Gomera ein Interview führt. In "Sacharin im Salat" steckt er in der Gestalt des Alex Borowski, der mit jemandem reden möchte und nach einem Gesprächspartner sucht. Janosch wollte mit diesen Romanen die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit voller Armut und Beengtheit loswerden. Wenn man alle diese Bücher liest, erfährt man, wie sein Leben verlief. Mir gefällt "Cholonek" am besten. In Oberschlesien ist das ein Kultbuch.

STANDARD: Die Themen, die in den Romanen vorkommen, sind hauptsächlich Alkohol, Sex und der Katholizismus. Sind das die Themen, die auch Janoschs Leben bestimmten?

Bajorek: Ich würde das nicht übertreiben. Er hat nicht nur darüber geschrieben. Da waren auch andere Szenen, die sein Leben beeinflussten. Seine Kindheit in diesem Mehrfamilienhaus in Zabrze blieb ihm immer in Erinnerung. Auf Oberschlesisch nennt man das "Familok". Dieses Leben mit dem Gestank von Machorka, Knoblauch und Urin, dem ständig betrunkenen Vater, der ihn schlug, und der kalten, sadistischen Mutter hatte eine traumatische Wirkung auf ihn. Hinzu kamen die Schikanen der Lehrer und Mitschüler, die Strenge der Pfarrer und der Katholizismus mit seinen Schatten. Die Angst vor Gott und der Kirche fühlte er besonders. Auch von der Brutalität der Nazis und seiner Zwangsmitgliedschaft in der Hitlerjugend schrieb er. Manches ist obszön. Einiges auch mehr koloriert und übertrieben. "Cholonek" zum Beispiel ist kein ausschließlich autobiografisches Buch. Es gibt darin auch Stellen, die der Fantasie entsprungen sind. Aber es ist ein Buch voller Klugheit. Es erzählt vom Lumpenproletariat, von Menschen, die Schmuggler und Diebe waren, weil sie sich an das Leben im Grenzgebiet anpassen mussten. Das waren empathische Personen, die große Wirkung auf Janosch hatten.

STANDARD: Sie erwähnen das autobiografische Manuskript "Leben mit Goldrand". Was hat es damit auf sich?

Bajorek: Janosch hatte vorgehabt, dieses Manuskript als seine Autobiografie zu veröffentlichen. Aber der Verlag stellte sich das anders vor. Er wollte das Manuskript entsprechend bearbeiten und in eine bestimmte Form bringen. Das konnte Janosch nicht akzeptieren und lehnte ab. So blieb das Manuskript unveröffentlicht. Ich habe Teile davon. Janosch gab sie mir, während ich an der Biografie arbeitete. Sie entsprechen im Wesentlichen dem, was er mir erzählt hat.

STANDARD: Sie haben Janosch kürzlich noch einmal auf Teneriffa besucht. Wie geht es ihm? Arbeitet er an einem neuen Buch?

Bajorek: Kinderbücher schreibt er schon seit vielen Jahren keine mehr. Er hätte zwar Ideen für ein paar hundert, wie er mir sagte. Aber wegen des Streits um die Rechte, die er verkauft hat, hörte er damit auf. Jetzt widmet er sich der Malerei. Sein Arbeitszimmer sieht fantastisch aus. Da gibt es tausende Pinsel und Farben sowie zahllose Bilder, in Kästen sortiert. Fast jeden Tag malt er den "Wondrak". Ich konnte zusehen, wie das Bild samt Text entsteht. Er sagte, seine Hände würden zittern, und es falle ihm schwer zu malen. Aber das merkt man nicht. Mir malte er Blumen und ein Bild von sich. Das zauberte er mit der Feder in wenigen Minuten aufs Papier. Ich war begeistert, wie schnell er das konnte und wie leicht es ihm fiel.

STANDARD: Wie wird er seinen Geburtstag verbringen?

Bajorek: Ich habe ihn gefragt, ob er den Tag besonders feiern werde. Aber er meinte, das werde ein Tag sein wie jeder andere. Schon seit Jahren esse er an seinem Geburtstag nicht einmal Kuchen. Ob das stimmt oder nicht, weiß ich nicht. Für mich waren diese Tage, die ich mit ihm verbringen durfte, ein mystisches Erlebnis. Wir saßen im Garten. Seine Frau Ines war da, und wir haben stundenlang geredet, gelacht und Wein getrunken. Das werde ich nicht vergessen. Wie Janosch schon in "Gastmahl auf Gomera" schrieb: Manche Abschiede fallen schwer. Und wenn man ahnt, dass es ein endgültiger Abschied ist, gilt das besonders. Am letzten Tag war Janosch so euphorisch und warmherzig. Und ich wusste, dass ich ihn nicht mehr wiedersehen würde. (Ruth Renée Reif, 11.3.2016)