Flüchtlinge bei Idomeni in Griechenland.

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35.000 Menschen sind derzeit im Flüchtlingslager Idomeni an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien gestrandet.

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Nach heftigen Regenfällen versinkt das Flüchtlingslager im Schlamm.

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Berlin/Wien – Eine Woche vor dem nächsten EU-Gipfel herrscht Uneinigkeit in der Union über die Rolle der Türkei in der Flüchtlingskrise und den Umgang mit tausenden an der griechisch-mazedonischen Grenze gestrandeten Menschen. Die EU-Innenminister berieten in Brüssel unter anderem über das geplante Abkommen mit der Türkei zum Stopp der Migrationsströme, das am kommenden Donnerstag beim EU-Gipfel beschlossen werden soll.

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos hat die angestrebte Flüchtlingsvereinbarung der EU mit der Türkei an Bedingungen geknüpft. Die Türkei müsse sicherstellen, dass für die Flüchtlinge kein Risiko von Verfolgung besteht, dass das Prinzip der Nicht-Zurückweisung (non-refoulement) gelte, und dass Flüchtlinge einen Status nach der Genfer Konvention erhalten, sagte er am Donnerstag in Brüssel.

Der EU-Kommissar zeigte sich überzeugt, dass die geplante Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei in Einklang mit europäischem und internationalem Recht sei. "Der Gipfel am Montag war eine Wende, aber viele Details müssen noch ausgehandelt werden." EU-Ratspräsident Donald Tusk sei diesbezüglich federführend.

Kritik von UN-Hochkommissar

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte kritisierte das geplante Abkommen mit der Türkei hingegen. Die Vereinbarung könne zu "kollektiven und willkürlichen Abschiebungen führen", die gegen das Völkerrecht verstießen, sagte Seid Ra'ad Al Hussein am Donnerstag. Er appellierte an die EU, sich beim nächsten Gipfel auf Maßnahmen zu verständigen, die "sehr viel rechtskonformer und menschlicher" seien.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) nannte es äußerst fragwürdig, wenn die Türkei die EU mit einer Wunschliste konfrontiere und Visa-Befreiungen in Aussicht gestellt bekomme, nachdem kurz zuvor die regierungskritische Zeitung "Zaman" unter Zwangsverwaltung gestellt worden sei. "Da stelle ich mir schon die Frage, ob wir unsere Werte letztendlich über Bord werfen." Auch aus dem EU-Parlament hatte es am Mittwoch Kritik an den Plänen gehagelt, die eine Visa-Befreiung für Türken ab Juni, eine Aufstockung der EU-Finanzhilfe und die direkte Übernahme von Syrern aus den türkischen Flüchtlingslagern vorsehen.

Die Türkei kündigte an, die Voraussetzungen für die Visa-Liberalisierung bereits zum 1. Mai erfüllen zu wollen. Die Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi zitierte den türkischen Europaminister Volkan Bozkır am Donnerstag mit dieser Einschätzung.

Warnungen vor humanitärer Katastrophe in Idomeni

Zugleich blieb die Zukunft der mehr als 35.000 Menschen unklar, die infolge der Grenzschließungen in Idomeni gestrandet sind. Das dortige Flüchtlingslager versinkt nach heftigen Regenfällen im Schlamm. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos warnte vor einer Katastrophe für die Menschen dort. Auch Hilfsorganisationen zeigten sich besorgt. "Wir machen uns Sorgen um Fragen des Kinderschutzes und um die dringende nötige humanitäre Versorgung", sagte der Geschäftsführer des Uno-Kinderhilfswerks Unicef in Deutschland, Christian Schneider, am Donnerstag. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn nannte die Bilder aus Idomeni scheußlich und forderte, die Lage zu verbessern.

"Balkanroute bleibt geschlossen"

Mikl-Leitner verteidigte die faktisch vollständige Schließung der Balkanroute jedoch erneut. "Das Schließen der Balkanroute verläuft planmäßig, und diese Uhr wird nicht zurückgedreht", sagte sie in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "Die Welt" vom Donnerstag und im Ö1-"Morgenjournal".

Zugleich lobte sie das abgestimmte Vorgehen der Innenbehörden der Länder entlang der Route. "Diese Allianz der Vernunft hat bisher den entscheidenden Beitrag dazu geleistet, Stabilität und Ordnung für die Menschen in Europa zu wahren."

"Massenzustrom muss Geschichte sein"

Mikl-Leitner bestand auf einer langfristigen Schließung der bisher von Flüchtlingen genutzten Route über den Balkan. "Meine Position ist klar: Die Balkanroute bleibt geschlossen, und zwar dauerhaft", sagte sie. "Der unkontrollierte Massenzustrom über diese Route muss Geschichte sein." Wenn Europa dabei konsequent bleibe, werde auch "der Migrationsdruck aus der Türkei nach Griechenland sinken".

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte hingegen in einem MDR-Radio-Interview nationale Alleingänge und forderte die EU auf, die Verantwortung für die in Griechenland festsitzenden Flüchtlinge zu übernehmen.

EU-Kommission gegen Schuldzuweisung an Staaten

Die EU-Kommission wandte sich unterdessen gegen Schuldzuweisungen an Einzelstaaten. Ein Sprecher erklärte am Donnerstag auf die Frage, ob die Kommission weiterhin Österreich wegen seiner Maßnahmen kritisiere: "Wir haben niemals mit dem Finger auf jemanden gezeigt und Verurteilungen vorgenommen."

Gleichzeitig verwies er auf die Schlusserklärung des EU-Gipfels, in dem dezidiert erklärt wird, dass der irreguläre Strom von Migranten entlang der Westbalkanroute nun "zu einem Ende kommt". Das sei "für die EU-Kommission eine Aussage über eine Tatsache und nicht über ein Ziel".

Trotz der verschärften Einreisebestimmungen wagen Menschen weiterhin die Fahrt über die Ägäis. Dabei kamen nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Dogan in der Nacht auf Donnerstag fünf Menschen ums Leben, darunter ein Baby. Die aus Afghanistan und dem Iran stammenden Menschen hätten versucht, mit einem Schnellboot die griechische Insel Lesbos zu erreichen. (APA, 10.3.2016)