Wien – Mit den Gewinnern großer Musikwettbewerbe ist es so eine Sache: Manche können die damit verbundene Aufmerksamkeit in eine erfolgreiche Karriere überführen, manche verschwinden in der Versenkung. Yundi Li hat im Jahr 2000 Erstaunliches geschafft: Er hat als erster Chinese den renommierten Chopin-Wettbewerb gewonnen, mit 18 Jahren.

Knappe 16 Jahre nach seinem Erfolg in Warschau spielte Yundi (auf den Familiennamen verzichtet der Pianist seit einigen Jahren) bei seinem Soloabend im Großen Saal des Wiener Konzerthauses, als wäre die Zeit seit damals stillgestanden, ein reines Chopin-Programm: im ersten Teil die vier Balladen des nobelsten, nuanciertesten und auch einfallsreichsten Melancholikers der Romantik, im zweiten dessen 24 Préludes.

Die Balladen – man kann sie als fantastische Klaviererzählungen mit einem Hang zu dramatischen Effekten und finaler Virtuosität beschreiben – präsentierte der immer noch knabenhaft wirkende Künstler in der Art eines reifen Berichterstatters. Mit staatstragendem Ton wurde die Melodie in der rechten Hand im immergleichen festen und doch warmen Ton dynamisch deutlich von einem zarten Begleitungshintergrund abgehoben wie etwa beim Beginn der zweiten Ballade. Tumult, Hysterie und Panik – wie beim folgenden Teil des Werks – spielten sich in wohlgeformten Verhältnissen ab. Grandezza statt Gewalt.

Wenig Radikalität war auch in den Préludes op. 28 zu erleben, am ehesten öffnete sich der Künstler gegen Ende, bei Nr. 18 (f-Moll), Nr.22 (g-Moll) und Nr. 24 (d-Moll), zum Extremen hin – endlich. Davor und dazwischen war viel Balance und Wohlklang, waren prägnant gemeißelte Melodiekörper in samtigem Begleitkostüm. Irritierend, dass Yundi öfters kleine Fehler unterliefen; enttäuschend, dass er über angelernte, verwechselbare Interpretationswege kaum hinausfinden wollte. Eine Zugabe, danach ein Schlussapplaus wie ein warmer, sanfter Mairegen. (Stefan Ender, 9.3.2016)