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Einst fast verfeindet, nun in der Flüchtlingskrise aufeinander angewiesen: Angela Merkel und Alexis Tsipras am Montag in Brüssel.

Foto: Reuters / BPA / Guido Bergmann

Vor ein paar Jahren noch war sie die Nazi-Braut, jetzt ist sie der rettende Engel, der seine Flügel schützend über die Griechen breitet. Angela Merkel ist im Moment die beste Versicherung für Alexis Tsipras, den linken griechischen Regierungschef. Beim schwierigen EU-Türkei-Gipfel in Brüssel zogen beide am gleichen Strang. Tsipras will den Großteil der Flüchtlinge loswerden, die sich nun rasch in seinem Land sammeln. Und die deutsche Kanzlerin will endlich ihren europäischen Plan haben, die Lösung der Flüchtlingskrise durch Rücknahme, Verteilung, Umsiedlung. "Die Ergebnisse des Gipfels können nur als ein Schritt vorwärts bezeichnet werden", freute sich Tsipras am frühen Dienstagmorgen in Brüssel. Nichts anderes sagte die deutsche Kanzlerin.

Als Angela Merkel im Herbst 2012 zu Besuch nach Athen kam, auf einem Höhepunkt der Proteste gegen die rigorose Sparpolitik, die Griechenlands Kreditgeber dem Land auferlegt hatten, da wurde sie auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament von Demonstranten in Nazi-Uniform und mit Hitler-Schnurrbart begrüßt.

"Mutter aller Griechen"

"Wir müssen alle da sein, auf die Straße gehen und der großen Deutschen, der Mutter aller Griechen, unsere große Liebe und Verehrung zeigen!", rief der Radiomoderator Giorgos Tragkas damals spöttisch ins Studiomikrofon. Tragkas ist immer noch da, brüllt seine Hörer von Real FM Attika bisweilen auf Deutsch mit "Guten Morgäään!" wach und spielt ungeniert die erste Strophe der Deutschland-Hymne ab. Doch politisch gilt jetzt der Schulterschluss.

Ein fertiges Abkommen mit der Türkei, das den Flüchtlingsstrom beendet, hat die griechische Diplomatie ohnehin nicht schon vom Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU am Montag erwartet. Wenn alles gut läuft für Athen und Berlin, wird es beim regulären Gipfel in Brüssel in neun Tagen so weit sein. Für Tsipras war entscheidend, dass Merkels Linie trotz Widerstands in der Runde der 28 Mitgliedsstaaten gehalten hat.

Österreich eingezäunt

"Griechenland war nicht nur nicht isoliert bei diesem Treffen, sondern die Länder, die Griechenland isolieren wollten, waren es", berichtete Tsipras seinen Bürgern. "Zäune wurden errichtet für jene, die eigentlich Zäune bauen wollten", sagte er, ohne Österreich, die osteuropäischen EU-Mitglieder und die Balkanländer namentlich zu nennen.

Drei Fährschiffe von den Inseln der Ostägäis trafen auch am Dienstag wieder im Hafen von Piräeus ein. 1.300 Flüchtlinge luden sie ab, mehr als 13.000 sind es, die mittlerweile am Grenzübergang Idomeni nach Mazedonien in Zelten und an Lagerfeuern ausharren; über 35.000 Menschen sind nun zwischen Athen und der Grenze im Norden auf Lager verteilt, die 20.000 Kriegsflüchtlinge, die schon im vergangenen Jahr in Hotels und angemieteten Wohnungen untergebracht wurden, nicht eingerechnet. Und was aus der geschätzt halben Million illegaler Immigranten geworden ist, die schon in den ersten Jahren der Finanzkrise nach 2010 ohne Aufenthaltserlaubnis in Griechenland war, vermögen die Behörden nicht mit Bestimmtheit zu sagen.

Türkische Forderungen "sehr extrem"

Die neuen Forderungen, die der türkische Premier Davutoğlu in Brüssel auftischte, nannte Tsipras "anziehend". Der griechische Europaminister Nikos Xydakis war weniger euphorisch. Für die Mehrheit der EU-Staaten waren die türkischen Wünsche nach mehr Geld, schnellerer Visaliberalisierung und neuen Kapiteln bei den Beitrittsverhandlungen "sehr extrem", räumte der Minister ein.

Griechen und Türken sahen sich nur Stunden nach dem Brüsseler Gipfel am Dienstag wieder – dieses Mal in Izmir zu einem länger geplanten Regierungstreffen. Tsipras und Davutoğlu wollten dort die schnellere Anwendung eines bereits bestehenden bilateralen Abkommens zur Rücknahme illegaler Migranten vereinbaren. Das gilt als weiterer Schritt zur Lösung der Flüchtlingskrise.

In der Türkei wurde die Ankündigung einer Visaliberalisierung schon ab Juni verhalten aufgenommen. Die Türkei müsse dafür noch mehr Flüchtlinge aufnehmen, hieß es in sozialen Medien. (Markus Bernath aus Athen, 8.3.2016)