In der Vorwoche demonstrierten 20.000 Flughafengegner bei Nantes gegen das Großprojekt.

Foto: AFP / Jean-Sebastien Evrard

Notre-Dame-des-Landes – Die Heide im Nordwesten von Nantes lebt auch im Winter: Vögel zwitschern, Hunde bellen, und die Kühe muhen nicht nur – sie lachen. "La vache rit" (die Kuh lacht) steht in großen Lettern an einer Wellblechfassade im Hof von Sylvain Fresneau. Der 54-jährige Landwirt mit blauem Overall und einem Schnurrbart groß wie ein Hufeisen schaut düster drein.

Fresneau ist auf dem Bauerngut auf die Welt gekommen und führt die Milchproduktion in fünfter Generation; doch jetzt muss sein Gut dem geplanten Flughafen Notre-Dame-des-Landes weichen. Auf der Karte hat Fresneau seinen Standort gleich neben der zukünftigen Nordpiste mit einem kleinen Totenkopf markiert.

Alter Flughafen zu klein

Fresneau ist einer von vier Bauern, deren Gut vollständig auf dem 1650 Hektar großen Flughafengelände liegt. Das Projekt "Grand-Ouest", wie es offiziell heißt, soll nicht nur die 20 Kilometer entfernte Loire-Stadt Nantes (900.000 Einwohner) bedienen, sondern die gesamte Region inklusive der bretonischen Metropole Rennes (700.000 Einwohner). Nantes verfügt zwar über einen Flughafen, doch der wächst jährlich um fünf Prozent und soll 2020 seine Kapazitätsgrenze erreicht haben.

Das behauptet zumindest der frühere Bürgermeister von Nantes, der Sozialist Jean-Marc Ayrault. Als früherer Premier und heutiger Außenminister verfügt er in Paris über viel Einfluss. Insider meinen, er sei dem Ruf von Präsident François Hollande in die Regierung nur unter der Bedingung gefolgt, dass "sein" Flughafen gebaut werde. Hollande nickte das seit 1963 vor sich hindümpelnde Vorhaben leichtfertig ab, ohne sich bewusst zu sein, was er sich damit einbrockte: Notre-Dame-des-Landes überschattet sein ganzes Mandatsende.

Naturschutzgebiet gefährdet

Die Flughafengegner lassen nicht locker. Ihr Argument, durch zahllose Studien, Bücher und Manifeste bekräftigt: Das von zwei Start- und Landepisten flankierte Baugelände liege in einem Naturschutzgebiet mit Heide-, Feucht- und Landwirtschaftszonen, in denen alles in allem mehrere Hundert Agrararbeiter arbeiteten; viel einfacher und billiger wäre es, die Startbahn des aktuellen Flughafens auszubauen.

Der Baukonzern Vinci, der die Ausschreibung für Notre Dame des Landes 2010 gewann, argumentiert mit der Wirtschaftsförderung für eine Region, die mit einer Airbus-Fabrik, der Schiffswerft Saint-Nazaire und dem Tourismus bis in die Bretagne über wichtige Trümpfe verfügt. Vinci verweist darüber hinaus auf die nationale Raumplanung, wie es in einer Broschüre heißt: "Notre-Dame-des-Landes würde den Wasserkopf Paris entlasten und mithelfen, den zentralistischen Landesaufbau Frankreichs auszugleichen."

"Keine Planungsleiche"

Das lässt der grüne Regionalrat Christophe Dougé nicht gelten: "Lyon versuchte in Ostfrankreich auch schon, eine Alternative zu den beiden Pariser Flughafen-Hubs Roissy und Orly zu bieten; er schaffte es aber nie und ist heute völlig überdimensioniert. Eine solche Planungsleiche wollen wir in Nantes nicht."

Gleicher Meinung ist ein regionales Kollektiv aus 200 Linienpiloten, das den bestehenden Flughafen für groß genug und modern hält. 2011 wurde Nantes sogar zum "besten europäischen Flughafen" gewählt. Regionalflughäfen wie Stuttgart machten vor, wie sich das Passagiervolumen mit der richtigen Infrastruktur ausbauen lasse, sagt Thierry Masson, der Leiter des Pilotenkollektivs.

Spott und Häme

Der Widerstand gegen das Projekt wächst in dem Maße, in dem sich Ayrault darauf versteift. Jahrzehntelang nur lokal bekannt und umstritten, wird Notre-Dame-des-Landes ein nationales Symbol des Ökowiderstandes gegen ein überrissenes Bauvorhaben – so wie es das 1981 gescheiterte Militärlager im Larzac oder der 1998 geschlossene Schnelle Brüter von Creys-Malville gewesen waren. Ende Februar demonstrierten in Nantes schätzungsweise 20.000 Flughafengegner gegen den "Ayraultport", wie er auf Spruchbändern spöttisch genannt wurde.

Hollande steckt im Dilemma: Er ist bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in einem Jahr auf die Stimmen der Grünen angewiesen und setzte deshalb im Februar alles daran, die – seither zurückgetretene – Vorsteherin der grünen Partei EELV in die Regierung zu holen. Zugleich ist der Präsident an sein Versprechen gegenüber Ayrault gebunden.

Zwischen den Fronten eingezwängt, hat er vor kurzem angekündigt, er organisiere noch in diesem Jahr ein regionales Referendum zu dem neuen Flughafen.

Schwierige Räumung

Landwirt Fresneau ist nicht aus Prinzip dagegen, "wenn es eine ehrliche Volksabstimmung wird". Fresneau hat aber seine Zweifel.

Selbst wenn der Flughafen in dem Referendum angenommen würde, wäre er noch längst nicht gebaut. In den Wäldern um das Dörfchen Notre-Dame-des-Landes (2000 Einwohner) siedeln sich immer mehr Ökoaktivisten, Aussteiger und Anarchisten in selbstgebauten Lagern an.

Sylvain Fresneau schätzt die Zahl dieser "Zadisten" (abgeleitet von ZAD, einer bestimmten französischen Raumplanungszone) auf bald 200. "Eine Polizeiräumung des Gebietes würden sie kaum hinnehmen", glaubt der Landwirt.

Kühe ohne Zuhause

Fresneau muss seinen eigenen Hof mit Familie an sich Ende März verlassen. Das hat ein Gericht kürzlich nach langem Rechtsstreit beschlossen. Und was passiert mit den 260 Kühen in dem offenen Hangar? "Gute Frage", meint der militant gewordene Landwirt kurz angebunden. Irgendwie sieht er nicht aus wie jemand, der freiwillig ein Land verlässt, das schon der Ururgroßvater gerodet und erschlossen hatte. (Stefan Brändle, 8.3.2016)