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Griechen warten vor einer Athener Bank auf Einlass. Die Schulden des Landes sind enorm.

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Wien – Wie schnell sich die Zeiten ändern. Vor einem Jahr, als sich der Streit zwischen Griechenland und seinen Gläubigern täglich zuspitzte, ließ der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble keine Gelegenheit für eine Verbalattacke gegen Athen aus.

Dieser Tage ist der CDU-Politiker dagegen voller Lob für Athen. "Griechenland leidet unter einem erschreckenden Mangel an Solidarität von zahlreichen EU-Ländern", sagte Schäuble vergangene Woche bei einer Konferenz an der London School of Economics. "Der einzige europäische Staat, der Griechenland in diesen Tagen verteidigt, ist Deutschland." Kurz davor hat er sich bei einer Tagung in Schanghai fast identisch geäußert.

Die plötzlich gehäufte Verwendung der Wortkombination "Solidarität" und "Griechenland" von Schäuble hat eine Welle an Spekulationen losgetreten. Dabei geht es um die Frage, ob Deutschland, der wichtigste Gläubiger Griechenlands, bereit ist, Athen einen Schuldenschnitt anzubieten.

Diverse Medien, Analysten und Ökonomen spekulieren über ein Tauschgeschäft Flüchtlinge gegen Schulden: Mithilfe der Nato riegelt Griechenland seine Seegrenze zur Türkei ab. Jene Flüchtlinge, die es doch ins Land schaffen, werden anständig versorgt und auf andere EU-Länder aufgeteilt. Im Gegenzug bekommt Griechenland seinen in Aussicht gestellten Haircut, den Schuldenschnitt.

Sparkurs gegen Kredite

Hellas erhielt 2015 Zusagen für Kredite in Höhe von 86 Milliarden Euro. Im Gegenzug musste sich das Land verpflichten, am Sparkurs festzuhalten. Die Regierungschefs der Euroländer versprachen Athen, eine Reduktion der Schuldenlast "zu erwägen". Bisher kam man über diese vage Ankündigung nicht hinaus.

Der in Griechenland lebende Ökonom Jens Bastian gehört zu jenen Experten, die glauben, für Athen und Berlin ergebe sich eine neue Chance darauf, einig zu werden. "Berlin braucht Athen in der Flüchtlingskrise, und Athen braucht Berlin beim Thema Schuldenschnitt", sagt Bastian.

Die griechische Regierung arbeite bereits darauf hin, den Grundstein für eine solche Vereinbarung zu legen, sagt Bastian. Tsipras und sein Kabinett seien aus Schaden klüger geworden. Im vergangenen Jahr habe Athen offensiv, lautstark, aber vergeblich ein Entgegenkommen von den übrigen Euroländern gefordert. "Nun probiert man es diplomatischer." Bastian glaubt, dass die mit den Gläubigern vereinbarten Budgetziele nicht halten können, wenn Griechenland sich von einem Transit- zu einem Rückhalteland für Flüchtlinge entwickelt.

Dann muss der Staat Menschen monate-, wenn nicht jahrelang versorgen, ihnen Sprachkurse anbieten, Jobs schaffen. Der Ökonom erwartet, dass Athen in einem ersten Schritt von seinen Gläubigern mehr Spielraum in Haushaltsfragen bekommt und in einem zweiten Schritt um den Frühsommer herum in Verhandlungen über einen Schuldenschnitt eintreten wird. Für Tsipras hängt sein politisches Überleben an der Frage, ob eine Schuldenreduktion kommt.

IWF als Verbündeter

Athen hat noch einen Verbündeten: den Internationalen Währungsfonds (IWF). Der Fonds hat sich bisher nicht am dritten Hilfsprogramm für Griechenland beteiligt, weil er es für nicht nachhaltig hält. Vereinbart wurde, dass Griechenlands primärer Budgetüberschuss bei 3,5 Prozent liegen soll. Bei einem Primärüberschuss werden Zinszahlungen nicht eingerechnet. Der IWF drängt die Europäer zu einem Haircut. Nur dann ließen sich die Budgetziele erreichen. Die CDU in Deutschland will den IWF mit an Bord haben, weshalb Bewegung in die Schuldenfrage kommen könnte.

Doch IWF-Mitarbeiter sagen unter der Hand, dass es auch gut sein kann, dass der Fonds gar nicht mehr mitmachen wird, weil man genug vom Hellas-Abenteuer habe. Auch viele Analysten sind skeptisch: Raoul Ruparel vom Thinktank Open Europa in London erwartet, dass Griechenland mit dem Wunsch nach einem Haircut abblitzen werde. Der Widerstand im Deutschen Bundestag sei zu stark. Finanzminister Schäuble sah sich am Montag zu der Klarstellung gezwungen, dass man die Flüchtlings- und Schuldenkrise trennen müsse. Man werde aber "sehr großzügig" bleiben, fügte er hinzu. (András Szigetvari, 8.3.2016)