In einem quälenden Raum der Erinnerungen gefangen: Margarita Gritskova (als Mascha), Ilseyar Khayrullova (als Olga) und Aida Garifullina (als Irina,v. li. n. re.) an der Wiener Staatsoper.

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Wien – Aus diesem Salon scheint das Leben seit ewigen Zeiten geflohen zu sein. Leer und heruntergekommen riecht er; nur die sechs Wandkerzen brennen beharrlich als letzte Zeugen einstiger Feste. Sie tun es womöglich seit unzähligen Jahren – zu erkennen an ihren getrockneten, meterlangen Wachsskulpturen, die bis zum Boden ragen – und verstärken den Eindruck, hier würden Gespenster Zeitlosigkeit üben.

Das Phänomen Zeit ist in dieser surrealen Inszenierung von Yuval Sharon tatsächlich auch ein rätselpralles, mehrdeutig zentrales Phänomen. Ihr unablässiges Fließen wird durch stetes Bewegen von Requisiten (Ausstattung: Esther Bialas) symbolisiert.

Es ist denn auch ein unablässiges Kommen und Gehen von Türen, Bäumchen, Stühlen und stummen Figuren. Als wäre die Staatsopernbühne auf einem unsichtbaren Ringelspiel postiert, herrscht eine Art kreisrund bewegter Stillstand. Und er suggeriert Ereignislosigkeit ebenso wie ein unabwendbares gnadenloses Fortschreiten der Ereignisse. Diese stete Bewegtheit bildet den reizvollen dramaturgischen Kern dieser präzisen Arbeit, welche die Figuren, besonders Irina (glanzvoll, intensiv Aida Garifullina), außerhalb der Fließzeit postiert. Sie sind träumende Besucher ihrer eigenen Erinnerungen, umwölkt von einer Musik mit elegisch-poetischer Grundatmosphäre.

Drei Blickwinkel

Auch Komponist Péter Eötvös selbst geht in seinen Tris Sestri großzügig mit dem Zeitphänomen um: Das Ende des Anton-Tschechow-Stückes setzt er an den Anfang; die drei Schwestern zelebrieren ihn in Schaukeln baumelnd und von der Schönheit der Musik schwärmend. In den insgesamt drei Sequenzen beleuchtet Eötvös dann dieselben Ereignisse aus drei Blickwinkeln, wodurch an sich ein Reduktionismus der äußeren Geschehnisse vorherrscht. Dabei ist es eine besondere Leistung der Regie, diesen ruhigen Duktus der Oper zu erhalten, in diesen zugleich aber sanfte Dynamik implantiert zu haben.

Auf elegante Art und Weise korrespondiert die szenische Gestik zudem mit jener der Musik. Neben dem elegischen Fließen von Linien, die unter anderem ein Akkordeon intim evoziert, wird es mitunter durchaus ruppig und tumultös: Wie die Wände sich einen Spalt öffnen und den Blick freigeben auf Soldaten in Nebelschwaden, entsteht eine reizvolle Dramatik. Und dies ergibt etwas Außenwelt für ein mobiles Museum der Erinnerungen, in dessen Vitrinen zerstörte Träume und Demütigungen ausgestellt sind.

Sensibler Figurenumgang

Diesen in Summe quasi rasenden Opernstillstand in Bewegung versetzt zu haben, ist nicht das einzige Verdienst der Regie. Sie kümmert sich auch sensibel um die Figuren und beschenkt endlich wieder das Repertoire der Staatsoper mit einer lebendigen, respektablen Inszenierung.

Zudem wird im gespenstischen Zeitmuseum hervorragend gesungen: Neben Garifullina überzeugen Margarita Gritskova (als Mascha), Ilseyar Khayrullova (als Olga), Eric Jurenas (als Natascha), Boaz Daniel (als Tusenbach), Clemens Unterreiner (als Verschinin), Gabriel Bermudez (als Andrei), Dan Paul Dumitrescu (als Kulygin) und der Rest des Ensembles. Dirigent Péter Eötvös (im Orchestergraben) und sein (für das zweite Orchester hinter der Bühne zuständiger) Kollege Jonathan Stockhammer erweckten mit dem Staatsopernorchester einen so kultivierten wie bei Bedarf energetisch-vitalen Klang.

Es gab freundlichen Applaus, nachdem zu Beginn des Abends eine Schweigeminute abgehalten worden war. Direktor Dominique Meyer hatte die Anwesenden gebeten, mit einer solchen des verstorbenen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt zu gedenken. Der Ex-Musikchef der Wiener Staatsoper, Franz Welser-Möst, war übrigens auch dabei. (Ljubisa Tosic, 8.3.2016)