Asylanträge in der EU im Jahr 2015.

Grafik: DER STANDARD

Drei Tage vor dem Sondertreffen der 28 Staats- und Regierungschefs der EU mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu zum Ausbau der Kooperation zeichneten sich am Freitag deutliche Fortschritte im Bemühen um konkrete und gemeinsame Lösungsansätze zur Flüchtlingskrise ab. "Dieser Gipfel am Montag wird ganz entscheidend sein", sagte Dimitris Avramopoulos, der für innere Sicherheit und Migration zuständige EU-Kommissar, bei einer Pressekonferenz in Brüssel.

EU-Vizepräsident Frans Timmermans und Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn hatten da bereits zwei Tage lang mit der türkischen Führung verhandelt, unterstützt durch den Besuch von EU-Ratspräsident Donald Tusk in Ankara, wo er am Freitag mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan konferierte. Laut Avramopoulos hat die Kommission 95 Millionen (von insgesamt drei Milliarden Euro) aus dem Aktionsplan EU/Türkei freigegeben. 55 Millionen werden für die Schulbildung von Flüchtlingskindern aus Syrien verwendet, 45 Millionen für humanitäre Hilfe. Im Vergleich zum Gesamtproblem ist das ein Detail. Es ist aber von hoher symbolischer Bedeutung, markiert es doch den Start des im November mit der Türkei vereinbarten Aktionsplans.

Krieg gegen Schlepper

Seither wurde nicht nur zwischen den EU-Staaten heftig gestritten, wie man der Flüchtlingsströme Herr (bzw. Frau) wird. Vor allem hat sich mit der Türkei, die als Schlüsselland zur Lösung eingeschätzt wird, praktisch nichts bewegt, während die Zahl der illegalen Migranten auf griechischen Inseln unverändert hoch ist. Genau das soll sich nun laut Avramopoulos ändern. Nicht zufällig hat Tusk sich am Donnerstag direkt an die Flüchtlinge mit dem Spruch "Kommt nicht mehr nach Europa!" gewandt: Die Zeit "des Durchwinkens" sei vorbei. Das betonte auch der EU-Innenkommissar als neue Linie, "die wir alle beschlossen haben". Er bestätigte, dass Griechenland 308 illegale Migranten direkt in die Türkei abgeschoben habe. Den Schleppern werde "der Krieg erklärt". Mit der Türkei sei vereinbart, dass sie Migranten ohne Recht auf Aufenthalt in der EU im Rahmen eines Rückführungsabkommens zurücknehme: "Offen und gastfreundlich ist Europa nur für jene, die internationalen Schutz brauchen."

Das Rückführungsabkommen wird ab 1. Juli voll gelten, sagte Avramopoulos, die Türkei bekommt mehrere Zugeständnisse. Die Kommission will bis Oktober alle Vorbereitungen erledigt haben, damit das Abkommen zur Visafreiheit fix und fertig ist. Beim Sondergipfel am Montag kann Davutoglu zudem mit der Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen rechnen.

Ein weiteres Kernstück der Pläne ist die "effiziente Kontrolle" der EU-Außengrenze. Der Innenkommissar kündigte an, dass die neue Grenz- und Küstenwache von Frontex im November einsatzbereit sein soll. Bis dahin müssten die provisorischen Grenzkontrollen im Schengenraum (in acht Ländern, inklusive Österreich) wieder der Vergangenheit angehören. Auch EU-Nachbarschaftskommissar Hahn betonte eine wirksame Sicherung der Außengrenzen im ZiB2-Interview am Freitag, "dann stellt sich das Problem des Durchwinkens gar nicht mehr".

Griechenland muss bis Mai dafür sorgen, dass die Registrierung der Asylwerber lückenlos klappt. Laut Avramopoulos gebe es "von einigen Staaten" Zusagen, dass sie bereit seien, die Umsiedelung von Flüchtlingen aus Griechenland in Angriff zu nehmen. Seit fünf Monaten klappt das praktisch nicht. Nur rund 600 von geplant 160.000 Flüchtlingen wurden umgesiedelt.

Merkel-Besuch bei Hollande

In seinem Einladungsbrief an die Regierungschefs zeigte sich Ratspräsident Tusk vorsichtig optimistisch: "Zum ersten Mal seit Beginn der Migrationskrise sehe ich, dass ein Konsens greifbar ist." In Paris sprachen sich Angela Merkel und François Hollande Freitag für ein gesamteuropäisches Vorgehen aus. "Einseitige Lösungen helfen uns nicht weiter", sagte die deutsche Kanzlerin im Élysée-Palast. Der französische Präsident fügte an, die einzige Antwort heiße Europa: "Europa muss in der Lage sein, die erwarteten Lösungen herbeizuführen."

Wenn Merkel ein Einlenken Frankreichs auf ihre Flüchtlingspolitik erwartete, sah sie sich allerdings getäuscht: Hollande benützte den gemeinsamen Appell an die europäische Einigkeit vor allem, um an die Rechtspflichten des Schengener Abkommens zu erinnern: Über die Grenzen dürfe nur kommen, wer dazu auch "autorisiert" sei, also: wer gültige Papiere habe. Hollande erklärte weiter, Frankreich werde wie vereinbart 30.000 Flüchtlinge aus dem Syrien-Krieg aufnehmen, werde aber deren "Herkunft" prüfen.

Der deutsche CSU-Chef Horst Seehofer begrüßte strengere Kontrollen und Regeln. "Es gibt eine Wende in der Flüchtlingspolitik durch die weitgehende Schließung der Balkanroute", sagte er dem Spiegel. Merkel erklärte, bis Montag solle man "einen Schritt weiter" sein, was die Eindämmung des Flüchtlingsstroms anbelange. (Stefan Brändle aus Paris, Thomas Mayer aus Brüssel, 4.3.2016)