Sicherheitskräfte verschaffen sich gewaltsam Zutritt zu den Redaktionsräumen von "Zaman".

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Die Polizei setzte Freitagabend Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein.

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Proteste vor der "Zaman"-Redaktion in Istanbul am Freitagnachmittag.

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"Freie Medien kann man nicht zum Schweigen bringen," hieß es auf einem Transparent.

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Istanbul/Athen – Türkische Polizisten sind gewaltsam in das Gebäude der regierungskritischen Zeitung "Zaman" eingedrungen. Vor dem Gebäude kam es zu Ausschreitungen: Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor. Zuvor hatte ein Istanbuler Gericht entschieden, die Zeitung unter staatliche Treuhandverwaltung zu stellen.

Der Maulwurf hatte es bereits kundgetan – Stunden, bevor es tatsächlich geschah: Fuat Avni, Twitterschreiber und U-Boot im türkischen Sicherheits- oder Regierungsapparat, sagte den Angriff der Staatsmacht auf die Feza-Mediengruppe voraus. Zu ihr gehört unter anderem die Tageszeitung "Zaman" und die Nachrichtenagentur Cihan. Vor allem aber gilt sie als Flaggschiff des Predigers Fethullah Gülen, eines früheren politischen Verbündeten von Staatspräsident Tayyip Erdoğan und dessen konservativ-islamischer Partei AKP.

Zaman hatte bis zum politisch folgenreichen Bruch zwischen Erdoğan und Gülen vor vier Jahren eine Auflage von offiziell fast einer Million Exemplaren am Tag; ein Teil davon waren Massenabonnements in der staatlichen Verwaltung.

Ehemaliger Mitstreiter

Der seit Ende der 1990er-Jahre im Exil in den USA lebende Gülen wird vom türkischen Staat als Chef der "Fethullah-Gülen-Terrororganisation" (FETÖ) etikettiert. Das war nicht immer so: Gülens Netzwerk frommer Anhänger in der türkischen Wirtschaft, in Medien, an Universitäten, in der Justiz, Polizei und in der Ministerialverwaltung war in den ersten Regierungsjahren wichtig für die AKP.

Aus dem Pool der "Gülenisten" schöpfte Erdoğans damals neue Partei ein gut gebildetes und loyales Personal. Gülen und Erdoğan vertreten zwei verschiedene Richtungen des politischen Islam in der Türkei – Erdoğan die nationale Ausrichtung des Milli Görüs; Gülen eine international ausgerichtete, stark auf Bildung setzende Islambewegung.

Vorwurf Terrorpropaganda

Kurz vor den Parlamentswahlen im November vergangenen Jahres ließ die Regierung bereits eine andere Gülen-nahe Mediengruppe samt Industrieunternehmen – die Koza-Ipek-Holding – unter Zwangsverwaltung stellen. Der Vorwurf lautete auch damals auf Propaganda für eine terroristische Organisation. Zu Ipek gehörten Zeitungen wie die mittlerweile eingestellte "Bugün" und Kanaltürk, ein populärer TV-Sender, der dann aus dem Kabelnetz genommen wurde.

Die Chefredakteure von "Zaman" und der englischsprachigen Ausgabe "Today's Zaman", Ekrem Dumanlı und Bülent Keneş, ließ die Regierung bereits zeitweise festnehmen. Die Übernahme der Zaman-Gruppe war seither erwartet worden. Die zunehmend kritische Berichterstattung in den Gülen-Medien über Erdoğan und die AKP-Regierung ab 2012 war ein Spiegel des Machtkampfs, der hinter den Kulissen ablief. Dieser gipfelte im Dezember 2013 in den Korruptionsermittlungen gegen vier Minister und deren Söhne.

Auslieferung unwahrscheinlich

Eine Vielzahl abgehörter und scheinbar kompromittierender Telefongespräche Erdoğans und seiner Kinder Sümeyye und Bilal kam hinzu. Der heutige Staatschef sah darin einen Putschversuch durch seinen früheren Verbündeten Gülen. Gegen ihn hat die Justiz ein Auslieferungsansuchen an die USA gestellt. Bisher scheint wenig wahrscheinlich, dass die US-Behörden dem Folge leisten.

Im Jargon der AKP-Regierung sind die Anhänger Gülens nun Teil eines Parallelstaats. Dessen Ausmerzung hatte Erdoğan angekündigt. Auch der bis vor kurzem inhaftierte Chefredakteur der säkularen, wichtigsten Oppositionszeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, soll nach Auslegung der Regierung vom Gülen-Netzwerk gesteuert worden sein. Dündar und sein Kollege Erdem Gül hatten über einen mutmaßlichen Waffentransport nach Syrien geschrieben. Ihnen droht deshalb eine lebenslange Gefängnisstrafe.

EU kritisiert Zwangsverwaltung

Nach den USA hat sich auch die EU besorgt über die Entscheidung Ankaras gezeigt, die regierungskritische Zeitung "Zaman" unter Zwangsverwaltung zu stellen und die Anordnung auch mit Gewalt durchzusetzen. Als EU-Beitrittskandidat müsse die Türkei die Pressefreiheit respektieren, erklärte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn am Samstag – zwei Tage vor dem EU-Türkei-Gipfel zur Flüchtlingskrise.

"Wir werden genau beobachten, was weiter geschehen wird", warnte Hahn. Er fügte hinzu, das Vorgehen der Behörden gefährde auch "die Fortschritte der Türkei auf weiteren Gebieten". Die Grundrechte aber seien nicht verhandelbar. (mab, red, 4.3.2016)