Zur Bewältigung der Flüchtlingskrise muss es "eine europäische Lösung" geben. Dieser Satz geistert in fast allen Parteien, Regierungen und Medien herum, quer durch die EU. Außer Rechtspopulisten, die gemeinschaftliche Politik bei Migration, Asyl und innerer Sicherheit aus Prinzip ablehnen, die auf ein Scheitern der EU und nationale Renaissance hoffen, wird kaum jemand widersprechen.

Das Problem ist zu groß für einzelne Länder. Praktisch alle Regierungen bekennen sich zur "europäischen Lösung", egal in welcher Zusammensetzung, von Rot-Grün in Schweden über die Linksregierung in Athen bis zur liberal-rechten Koalition in Belgien.

Auch Österreich, Slowenien und Kroatien, denen gerade gefährliche "nationale Alleingänge" mit Nachbarn auf dem Balkan vorgeworfen wurden, sagen: Es müsse für Flüchtlinge eine Lösung geben, die "den Regeln der europäischen und internationalen Verpflichtungen entspricht". So steht das in der Wiener "Balkan-Erklärung".

Dennoch hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die Regierung in Wien wegen der "Obergrenzen" bei Asylanträgen angegriffen. Nur zwei Tage später klang es wieder anders. Merkel rief die gestrandeten Flüchtlinge dazu auf, in Griechenland zu bleiben, sich ein Quartier zu suchen: Niemand könne sich aussuchen, wo er Asyl bekomme, "die Zeit des Durchwinkens" sei vorbei, so Merkel.

Den Bürgern muss das wie die babylonische Sprachverwirrung vorkommen. Wer soll sich da auskennen? Die Erklärung ist relativ einfach: Fast alle Regierungen meinen konkret etwas anderes, obwohl sie von einer "europäischen Lösung" sprechen.

Frankreichs Präsident François Hollande etwa denkt nicht daran, Flüchtlinge in größerem Umfang aufzunehmen. Er will einen entschlossenen Kampf gegen Terror, für mehr Sicherheit. Die EU-Kommission will eine am Schreibtisch erarbeitete "faire" Aufteilung der Flüchtlinge auf alle Staaten erreichen. Das Konzept ist politisch tot, weil für die Osteuropäer so nicht akzeptabel. Merkel will jetzt eine gesicherte EU-Außengrenze und eine humane Flüchtlingspolitik, aber ein Ende der illegalen Wanderung – im Grunde also nicht viel anders als die Regierung in Wien.

So brüchig die EU erscheint: Es zeichnet sich dennoch ab, was fast immer eintrat, wenn es um die Bewältigung einer Krise ging: Man robbt sich in kleinen Schritten, mit mühsamen Kompromissen an eine Lösung heran. "Sauber" – einheitlich – wird sie nicht sein, denn die EU-28 sind nicht allein. Sie müssen auch noch einen Deal mit der Türkei machen. Ankara wird einen hohen Preis dafür verlangen: viel Geld und politische Belohnung.

Die Rundreise von EU-Ratspräsident Donald Tusk von Wien über den Balkan und Athen bis nach Ankara gab erste Hinweise darauf, was kommt: Sperren auf der Balkanroute sollen weg, dafür wird die Ägäis zum Hindernis. Wirtschaftsmigranten werden in die Türkei abgeschoben, Flüchtlinge sollen mit viel EU-Geld in Griechenland gehalten werden, um nach und nach in andere EU-Staaten gebracht zu werden.

Der Sondergipfel könnte den Einstieg in ein solches Maßnahmenbündel bringen, indem zumindest eine Gruppe von Staaten erklärt, mit der Umsiedelung von Flüchtlingen "klein" zu beginnen. Die das nicht wollen, könnten sich in einem EU-Fonds "freikaufen". Der Nachteil eines solchen Pakets zur Reduzierung des Migrantenzustroms: Eine echte europäische Flüchtlingspolitik ersetzt das nicht. (Thomas Mayer, 3.3.2016)