Mit Hochdruck werden derzeit in Schweden Samenspender gesucht. Im April tritt ein Gesetz in Kraft, das alleinstehenden Frauen die Hilfe des öffentlichen Gesundheitswesens bei der Erfüllung ihres Kinderwunsches garantiert. Bislang war dieses Recht heterosexuellen und lesbischen Paaren vorbehalten; Singlefrauen wandten sich vor allem an Spitäler in Dänemark. An die 800 kleine Schweden entstanden im vergangenen Jahr nach künstlicher Befruchtung im Ausland.
Mit klarer Mehrheit hat das Parlament im Jänner dem neuen Gesetz zugestimmt. Nur die rechten Schwedendemokraten und die kleine christdemokratische Partei hatten das Recht eines Kindes auf zwei Eltern ins Feld geführt. Bedenken äußerte auch der Kinderombudsmann, der das Aufwachsen mit nur einem Elternteil als "besonders verletzbaren" Status beschreibt. Doch bei der Familiengründung von zwei Partnern auszugehen sei "altmodisch", so der sozialdemokratische Justizminister Morgan Johansson: "Wichtig ist, welche Liebe man einem Kind zuteilwerden lässt – nicht, ob man allein ist oder zu zweit."
Persönliche Freiheit
Den neuen, modernen Weg zum Kind hat Erik Gandini, Filmemacher mit Wurzeln in Italien und Schweden, zum Ausgangspunkt eines Dokumentarfilms gemacht. In The Swedish Theory of Love (Die schwedische Liebestheorie) beschreibt er ein Land, in dem Individualismus die Grenze zum Extremen überschritten hat. Die Entscheidung, zumal mit Blick auf hohe Scheidungsraten ein Kind ganz bewusst allein großzuziehen, symbolisiert demnach vor allem den Wunsch nach persönlicher Freiheit. Dass dieser Wunsch in Schweden so stark ist wie nirgends sonst, zeigen Jahr für Jahr die weltweiten "World Value"-Umfragen zu wichtigen Lebenswerten: In keinem anderen Land schätzt man Unabhängigkeit so hoch wie hier.
Dem Ideal von Bindungen, in denen es nur um Zuneigung und nicht um Abhängigkeit geht, sieht sich das schwedische Wohlfahrtsmodell seit den 1970er-Jahren ausdrücklich verpflichtet, betont Gandini. Das Verteilen sozialer Wohltaten mit Blick auf den Einzelnen statt auf die Familie mache die Schweden "frei voneinander " – die Frau vom Ehemann, den Studenten vom geizigen Vater, die Alten von der Gnade erwerbstätiger Kinder. Doch der Preis der Freiheit ist hoch. Das Bild des sozial sprachlosen, zutiefst einsamen Zeitgenossen made in Sweden zieht sich durch den gesamten Film – von der Wiege im Ein-Frau-Haushalt bis zur Bahre, die den von niemandem Vermissten zur letzten Ruhe bringt.
Sozial gerecht
Mit seinem Film hat Gandini Diskussionen darüber angestoßen, ob das Leben in Schweden möglicherweise doch nicht das weltweit beste sei. Soziale Abhängigkeiten ließen sich eben nicht einfach "wegrationalisieren", betont die Zeitung Göteborgs-Posten. "Nirgendwo leben so viele Menschen allein wie in Schweden. 40 Prozent aller Erwachsenen fühlen sich laut Umfragen einsam – das ist gelinde gesagt eine Tragödie." Doch das Verklären von Abhängigkeit verschleiere nur deren brutales Wesen, kontert Dagens Nyheter-Kolumnistin Lena Andersson: "Der Schwache in der Obhut des Starken steht in dessen Macht. Diese Obhut ist stets ein Akt der Gnade – etwas anderes sollte man sich nicht einbilden."
Unterdessen geht die Debatte um die Erfüllung von Kinderwünschen weiter. Bei Femmis, einem Netzwerk für Frauen in freiwilliger Einzelelternschaft, lobt man an dem neuen Gesetz vor allem den Aspekt sozialer Gerechtigkeit: Endlich sei das Retortenkind nicht mehr finanziell Starken vorbehalten. Kommt nun als Nächstes die staatlich anerkannte Leihmutter? Eine Expertenkommission der Regierung hat dies vor kurzem erst einmal abgelehnt. (Anne Rentzsch aus Stockholm, 4.3.2016)