Die Wiener Sofiensäle sind ein eigentümlicher Ort: Das ehrwürdige Hauptportal mitsamt dem renovierten großen Saal wird beinahe erdrückt vom modernen Neubau, der seit einigen Jahren an der Stelle des 2001 bis auf die Grundmauern abgebrannten historischen Bauwerks steht.

Den Eindruck, das Etablierte drohe mancherorts vom Modernen überwältigt zu werden, teilen auch viele Besucher, die diese Woche zur Registrierkassenmesse der Wirtschaftskammer in die Sofiensäle pilgern. Der Andrang ist groß: die rund 60 Aussteller männlich dominiert, das Publikum gemischt, aber tendenziell im höheren Alter. Und je älter die Unternehmer, wird im Gespräch schnell klar, desto mehr Probleme scheinen sie mit der Registrierkasse zu haben.

Die Kasse als Symbol für den angestauten Unternehmerfrust.
usslar

Der Besitzer eines Eissalons, italienische Wurzeln, um die 60, klagt über fehlende IT-Kenntnisse, die ihm die Wahl der passenden Kassenlösung vergällen. Für die ältere Generation sei das ein Problem, ebenso die Registrierkassenpflicht im Allgemeinen. "Mehr Arbeit, die niemandem etwas bringt außer dem Finanzamt, wenn überhaupt." Er ist froh, dass er einen Anbieter mit gutem Service gefunden hat – 2.600 Euro kostet das Kassensystem. "Das musst du als kleine Firma auch erst einmal verdienen."

Ein anderer älterer Herr – er ein Ein-Mann-Detektivbüro, die Tochter Gastronomin – hält ebenso wenig von den neuen Regeln gegen die Umsatzsteuerverkürzung: "Für Kleinunternehmer ist das ein Riesenschaden. Das kostet nur Energie und Geld."

Geballte Ablehnung

Kleinunternehmer wie diese sind es, die neben der Alterskorrelation einen zweiten Zusammenhang zutage treten lassen: Der Unmut der Unternehmer, er scheint sich umgekehrt proportional zur Größe des Betriebs zu verhalten. "Es trifft immer die Kleinen", hört man hier öfter, ebenso das Wort "Schikane".

Überfordert fühlt sich auch eine Nagelstudiobesitzerin, die sich als Smartphone-Verweigerin outet und in ihrem Geschäft über keinen PC verfügt. "Furchtbar, eine Katastrophe. Ich will einfach nur meine Arbeit machen und mich nicht mit diesem Blödsinn beschäftigen müssen", sagt die Wienerin, die mit rund 500 Euro Investitionskosten rechnet.

Atmosphärische Un-Messe

An der Registrierkasse, dem Symbol für eine vermeintliche Gängelung durch den Staat, entlädt sich ein länger aufgestauter Unternehmerfrust. Zumindest gefühlt ist die Belastung höher als die Summe der verwaltungsrechtlichen Auflagen.

Fragt man nach, was genau das Schlimme an der Kasse ist, sind sich die Betroffenen uneins. Die Bedienung sei einfach, aber die Kosten hoch, meint einer. Andere sehen Komplettlösungen um wenige hundert Euro als finanziellen Klacks. Aber die Bedienung und der Aufwand rund um die Einführung! Gerne scheint jedenfalls kaum jemand hier zu sein, man wünscht sich atmosphärisch auf eine Reisemesse.

Schokomousse oder Apfelstrudel? Für alles gibt es eine Taste.
Matthias Cremer

Ein schlechtgelaunter Mietwagenunternehmer – vier Wagen umfasst seine Flotte – löchert den Anbieter von speziellen Taxikassen. "Für 700 Euro bekomme ich nur die Software, das ist alles?" Vom Offert ist er wenig angetan. Noch einmal 150 Euro kostet der Bondrucker, den er dazukaufen müsste. Für des Mietwagenbesitzers Smartphone hat der Softwareanbieter noch keine Anwendung fertigprogrammiert – "der Chef arbeitet noch dran". Der Kunde bleibt ein potenzieller.

Großer Beratungsbedarf

Wie er nehmen die meisten hier abgesehen von haufenweise Broschüren nichts Handfestes mit nach Hause. "Die Leute kommen, um sich zu informieren, nicht, um zu kaufen", sagt Harald Lindenbauer, Geschäftsführer von XMT Kassensysteme aus Oberösterreich. "Wenn ich mich selbst in ihre Lage versetze – ich wäre auch überfordert." Der Kunde nehme den Prospekt mit, vergleiche in Ruhe, rufe dann bei näherem Interesse an und wünsche ein individuelles Beratungsgespräch.

Auslieferung, Installierung und Einschulung für die vielen Spätentschlossenen unter den Kunden können für Anbieter zu einer echten Herausforderung werden. Denn die Zeit drängt: Zwar gilt für die Finanz bis Juli noch der Grundsatz "Beraten statt strafen". Jedoch muss man im Fall von Kontrollen schon ab April vorweisen können, dass man sich zumindest darum bemüht hat, eine Kasse anzuschaffen. Wer etwa glaubhaft machen kann, dass nur aufgrund von Lieferengpässen noch keine Kasse vor Ort ist, entgeht einer Verwaltungsstrafe.

Rund 60 Aussteller präsentieren sich auf der Messe.
Matthias Cremer

Drohende Lieferschwierigkeiten

Es sei sowohl für die Kunden als auch für die Anbieter ein "Riesenproblem", dass sich die Kunden so spät entscheiden, sagt Lindenbauer. Auch andere Aussteller klagen darüber, dass sie nur eine begrenzte Anzahl an Geräten auf Lager haben – seien es PCs, Kassenschubladen, Barcodescanner oder Bondrucker. Die meisten bestellen bei einer Handvoll Großhändler, die die Hardware ausliefern. Engpässe seien also programmiert, sagen einige.

Andere dagegen sehen das mit dem Zeitdruck entspannter. Die drei zusätzlichen Monate bis Juli, in denen bei Vorlage einer Bestellbestätigung nicht gestraft wird, seien genug Zeit, um alle Bestellungen abzuarbeiten, sagt ein Aussteller.

Boomender Markt

600 Kassensystemanbieter listet die Wirtschaftskammer derzeit auf ihrer Website. Weniger als 100 waren es laut Markus Knasmüller, Sachverständiger für Kassensoftware, noch vor einem Jahr. Ein Boom, den selbst Experten nicht für möglich gehalten haben. Unseriöse Anbieter, die beispielsweise keine Aktualisierungen im Rahmen der noch zu erwartenden Änderungen an den technischen Auflagen für die Softwarelösungen garantieren, gebe es nur vereinzelt, sagt Knasmüller. "Hände weg von solchen Anbietern", rät er. Auf der Messe stellen ausschließlich Anbieter aus, die diese Sicherheit bieten.

Unternehmensberaterin Regina Wengenroth ist weder als Kundin noch als Herstellerin auf der Veranstaltung, sondern in eigener Mission. Es brauche unabhängige Berater, um die Lawine an Informationen zu sondieren, die über die Unternehmer hereingebrochen sei. Was das richtige Angebot für das je eigene Geschäftsmodell ist, sei für den Einzelnen nur unter großem Aufwand herauszufinden. Kleinunternehmer aus allen Branchen hätten die größten Probleme, so Wengenroth.

Viele Last-Minute-Käufer

Was unter vorgehaltener Hand von den Anbietern mehrfach zu hören ist: dass Unternehmern sowohl von Steuerberatern als auch von der Wirtschaftskammer lange gesagt wurde, sie sollten sich mit dem Einholen von Informationen noch Zeit lassen. Eigentlich sei die Regelung, die ja schon im Sommer beschlossen wurde, zeitlich nicht zu knapp bemessen gewesen. Unternehmensberaterin Wengenroth, die zur Kassenverordnung Info-Veranstaltungen abhält: "Als Unternehmer, was würden Sie machen, wenn Ihnen jemand sagt: Warten Sie noch mit der Investition?"

Ein Minidrucker für die Rechnung beim Wirt.
Matthias Cremer

Die Wirtschaftskammer hingegen argumentiert damit, dass das Finanzministerium die formellen Vorgaben für die Kassensoftware erst knapp vor Jahreswechsel ausgearbeitet hat. Anbieter hätten schlecht etwas anbieten können, was noch gar nicht spezifiziert ist, so die Kammer.

Umfangreiche Zusatzfunktionen

Jenen Firmenchefs, die noch nie mit digitalen Kassen gearbeitet und sich bisher auf den Rechnungsblock verlassen haben, dürften diese Details großteils egal sein. Mehrfach hört man auf der Messe, dass jene Unternehmen, die sich über Zusatzfunktionen wie die Dateneinbindung in ein Warenwirtschaftssystem, Schnittstellen zu einem bereits vorhandenen Buchhaltungssystem oder eine umfassenden Stammkundenverwaltung Gedanken machen, tendenziell früher dran waren. Last-Minute-Kunden sind eher jene, die einfache Geräte suchen.

Sie müssen sich für eine von drei grundsätzlichen Kassenarten entscheiden: die klassische Hardware mit Kassenschublade, eine Softwarelösung für den PC oder eine App für Smartphone und Tablet. Bei letzterem System wird eine dauerhafte Internetverbindung benötigt. Fällt die Verbindung einmal aus, kann eine handschriftliche Rechnung ausgestellt und die Transaktion nachträglich in die Kasse eingetippt werden. Knasmüller empfiehlt beim Vergleich eine Durchrechnung über fünf Jahre, um die kostengünstigste Lösung zu finden.

"Unzumutbar"

Thomas Anderl ist Eigentümer eines Marktstandbetriebs, er verkauft auf dem Wiener Yppenmarkt und an fünf anderen Standorten einmal pro Woche regionale Bioprodukte. Jahresumsatz: rund eine halbe Million Euro. Weil auf dem Markt eine hohe Kundenfrequenz herrsche, breche das Arbeitstempo ein, greife man nicht zu einer hochwertigen, also teuren Lösung. Für alle seine Standln braucht er eine eigene Kasse mitsamt Waage. 3.000 Euro pro Exemplar plus 900 Euro für die Software, so hoch seien die Anschaffungskosten. Für alle Marktstände zusammen mache das mindestens 20.000 Euro aus, rechnet er vor. "Unzumutbar", sagt Anderl.

Günstigere Tablet-Lösungen hat er sich auf der Messe auch schon angesehen. Die seien aber weder temperatur- noch wetterfest, auch könne man damit weniger schnell arbeiten. "Wir stehen draußen teils bei minus zehn Grad. Da steht jeder Thermodrucker", spricht er technische Einschränkungen an. "Und sehr viel billiger wird's dann auch nicht." Die Registrierkassenpflicht im Allgemeinen? "Eine große Frechheit."

Unterschiedliche Wahrnehmungen

Wie zur Bestätigung, dass sich jüngere Semester leichter tun, findet sich gleich daneben ein optimistischer Mittdreißiger, dem die Registrierkassenpflicht keine schlaflosen Nächte beschert: "Ich plane, ein Lokal zu eröffnen, und es schaut so aus, also ob alle Systeme sehr ähnlich sind, auch vom Preis her." Ob App- oder Hardwarelösung, sei noch nicht entschieden, Hindernis für die Gründung sei die Kasse aber jedenfalls keines. Mit 2.000 Euro Anschaffungskosten rechnet der angehende Barbetreiber. Dass irgendjemand zusperren muss, weil er sich eine Registrierkasse anschaffen muss, kann er sich nicht vorstellen.

Nur ein paar Meter weiter will ein Aussteller eine skeptisch blickende ältere Dame animieren, zu seinem Stand zu kommen. Ihre aufrichtige Quittung: "Na, danke. Ma is ja sowieso überfordert mit allem." (Text: Simon Moser, Video: Maria von Usslar, Simon Moser & Alexander Gotter, 2.3.2016)