Das Grazer Straflandesgericht blieb auch am letzten Verhandlungstag schwer bewacht. Das Innere des Gebäudes wurde von Spezialeinheiten gesichert.

APA / Erwin Scheriau

Graz – Ganz unvermutet verblüfft der Verteidiger: "Ja, er ist ein radikaler Prediger." Der Staatsanwalt spitzt die Ohren und wendet sich dem Richter zu, ob er das jetzt wohl gehört habe. Dass der Verteidiger de facto zugebe, dass der angeklagte Prediger – dem die Rekrutierung junger Muslime für den IS-Kampf in Syrien vorgeworfen wird – ein "radikaler Prediger" sei.

Die Kuh ist aus dem Stall, und der Verteidiger versucht das Ganze wieder einzufangen. Mit "radikal" habe er nur den lateinischen Ursprung – "radix", die Wurzel – gemeint. Sein Mandant wolle also an den Ursprung der Religion gehen. Der Punkt ist heikel, denn die Radikalität der religiösen Auffassung des Angeklagten war auch Gegenstand des durchaus belastenden Gerichtsgutachtens eines Islamexperten.

Die extreme, rigide Auslegung des Islam zieht sich als Thema durch den ganzen Vormittag dieses letzten Verhandlungstages. Er ist auf Antrag des Verteidigers dem Studium von Predigten des Angeklagten, die auf CDs, DVDs und Festplatten sichergestellt worden sind, gewidmet.

"Kuffar"

Der Anwalt will beweisen, dass sein Mandant in keiner der Predigten direkt aufgefordert habe, nach Syrien in den bewaffneten Jihad zu ziehen. Es öffnet sich aber ein recht umfassendes Bild der religiösen Radikalität des Angeklagten. Da ist von den "vereinigten Kuffar", den Ungläubigen, die Rede – bis zum falschen Anbeten von Denkmälern oder Grabsteinen.

Muslime hätten nach dem US-Krieg in Vietnam oder den Atombomben in Japan "keine Tränen mehr wegen 3.000 getöteter Kuffar". Er spielt auf den 11. September an. Die größten Ungläubigen seien "moderne" Muslime. Frauen tragen Kopftuch, obwohl das nicht im Koran stehe, es müsse ein Hijab, also die umfassendere Verschleierung, sein.

Erinnerungsschwächen

Mehr Freude als mit den bohrenden Fragen des Staatsanwaltes und der Richter hatte der Angeklagte wohl mit den Zeugen, die zuvor aussagten. Der Richter las ihnen ihre Einvernahmen vor der Polizei vor. Einer der Zeugen hatte angegeben, dass sein Bruder in Wiener Moschen, in denen der Prediger seine Vorträge hielt, radikalisiert wurde. In der Moschee habe man ihm gesagt, er solle doch froh sein, dass sein Bruder nach Syrien gegangen sei, dieser komme jetzt ins Paradies. Er solle nicht zur Polizei gehen, Allah werde helfen. Vor Gericht konnte sich der Zeuge kaum noch an das Gesagte erinnern, und schon gar nicht, dass der Prediger da irgendeine Rolle gespielt habe.

Richter regt Kriegsverbrecherprozess an

Den meisten Anträgen der Verteidiger wurde am Montagabend stattgegeben, nun sollen weitere Zeugen gehört werden. Ein ergänzendes Gutachten sowie die Übersetzung der bosnischen Reden wird auch in Auftrag gegeben.

Abgelehnt wurde vom Richter lediglich der Antrag, ein psychiatrisches und neurologisches Gutachten in Auftrag zu geben über jenen Belastungszeugen, der maskiert ausgesagt hatte und den angeklagten Prediger belastet hatte. Der Prozess soll frühestens in sechs Monaten weitergeführt werden.

Der Richter stellte zudem in Diskussion, ob der Prozess nicht Dimensionen erreicht habe, die eine Verlagerung nach Den Haag zum Internationalen Strafgerichtshof, in dessen Zuständigkeit auch Kriegsverbrechen fallen, sinnvoll erscheinen lasse. (Walter Müller, 29.2.2016)