Einander (auf der Couch) zugetan: "Der Diktator" (Ulf Paulsen) und Maria (Iordanka Derilova) in Kreneks gleichnamigem Einakter.

Foto: Claudia Heysel

Vor 23 Jahren, in der ersten Zeit nach dem Ende der DDR, sollte das neu begründete Kurt-Weill-Fest Licht und vielleicht auch großstädtischen Glamour der 20er-Jahre in die trübe, von der Geschichte arg heimgesuchten Stadt bringen. Wegen der Junker Flugzeugwerke war Dessau im Zweiten Weltkrieg fast vollkommen zerstört worden, und auch die Großindustrie mit ihren riesigen Anlagen, nun noch immer gespenstische Ruinen, war weggebrochen. Die Bevölkerung schrumpfte um die Hälfte, und genau genommen gibt es Dessau gar nicht mehr. Eingemeindet mit der Nachbarstadt heißt die Stadt nun offiziell Dessau-Roßlau.

Mit dem Festival sollte an die intellektuelle urbane Geschichte von Kurt Weills Geburtsstadt erinnert werden, wobei als Mitinitiator von Anfang an die New Yorker Kurt-Weill-Gesellschaft maßgeblich beteiligt war. Dieses Jahr ist als Partner auch noch Österreich mit dem Kremser Krenek-Institut dazugekommen, denn das Motto 2016 stellt zwei Zeitgenossen nebeneinander: "Krenek, Weill und die Moderne"

In dem von den Nationalsozialisten errichteten Opernhaus, dem größten nördlich der Alpen, werden als Festivalpremiere zwei geistreiche Einakter der beiden Komponisten präsentiert. Doch ihre Wirkung verpuffte dort am Sonntagabend. 1928 uraufgeführt, scheinen sich beide Einakter zu bedingen. In Kreneks Der Diktator verfällt eine Attentäterin selbigem, ja sie schützt ihn sogar und opfert sich für ihn vor der eifersüchtigen Gattin.

Das kurze, prägnante Werk, für das Krenek selbst das gewitzte Libretto geschrieben hat, ist Teil einer Einaktertrilogie, die sich aus scheinbar disparaten Teilen zusammensetzt; vor dem Diktator, der die expressionistische Schlusspointe darstellt, stehen eine Boxerburleske und ein lyrisches Märchen. Man sollte auch diese beiden Teile kennen. Denn ohne sie wirkt Der Diktator "leer", lediglich als expressionistisches, pathetisches Aufrufezeichen.

Kammersänger Ulf Paulsen und Kammersängerin Jordanka Derilova übernehmen mit viel Spielfreude auch bei Kurt Weills Opera buffa Der Zar lässt sich photographieren ähnliche Rollen. Der Diktator – dort Zar – ist auch ein Frauenheld, aber operettenhafter, und die Attentäterin, die sich als Fotografin Adele ausgibt, kann ihn mit dem als Pistole präparierten Fotoapparat nicht abschießen. Der Zar wechselt nämlich ständig die Position und will die Fotografin selbst ablichten. Das Libretto, seinerzeit genauso wichtig wie die Musik, stammt von Georg Kaiser.

Sicherlich kann man an beiden Stücken die "Zeitoper" studieren, und ein wissenschaftliches Symposium in Dessau widmet sich auch diesem Thema, so ist in die Musik auch das Abspielen einer Grammophon-Platte, die die falsche Fotografin auflegt, eingebaut.

Der Zar lässt sich photographieren war nach der Dreigroschenoper lange die erfolgreichste Oper Kurt Weills. Trotzdem zündet die Aufführung nicht – wohl auch, weil sich die Inszenierung (Doris Sophia Heinrichsen) völlig zurücknimmt. Die Anhaltische Philharmonie unter Daniel Carlberg steht so im Mittelpunkt.

Vielleicht sollte man auch mehr auf die nun kommenden Konzerte und halbszenischen Aufführungen hoffen. H. K. Gruber, schon lange ständiger Gast in Dessau, bringt mit dem Ensemble Modern seine Fassung der Dreigroschenoper, wobei er selbst nicht nur dirigiert, sondern auch Mr. Peachum singt und mit Ute Gferer Das Mahagonny-Songspiel und Blasmusik von Weill und Krenek vorführt.

Im Mittelpunkt aber steht der Geiger Ernst Kovacic, dieses Jahr in Dessau "Artist in Residence". Der österreichische Musiker dirigiert nicht nur, sondern tritt auch in Violinkonzerten und Kammermusikabenden auf und spielt den Dessauern auch als Starstehgeiger auf. (Bernhard Doppler aus Dessau, 1.3.2016)