Wien – Die größte Steuerreform aller Zeiten findet nicht nur Lob. Während die Regierung die fünf Milliarden Euro schwere Entlastung als großen Wurf preist und auch heimische Wirtschaftsforscher deren konsumbelebende Wirkung zu schätzen wissen, kommt wieder einmal Kritik aus Brüssel. Die EU-Kommission hat sich die von der Steuerreform ausgehenden Effekte im Rahmen eines Länderberichts genauer angesehen und auf Analysen ihres Wissenschaftsinstituts Joint Research Centre zurückgegriffen.

Der Tenor der Untersuchung, die im jüngsten Länderbericht der EU-Kommission zu Österreich erschienen ist: Die Verteilungswirkung der Steuerreform ist dürftig. Zwar war bisher schon bekannt, dass untere Einkommensschichten weniger stark von der Entlastung profitieren als obere. Doch die Diskrepanz in der neuen Untersuchung fällt deutlich größer aus als beispielsweise in einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts. Der Effekt der Reform sei "ungleich verteilt", die Entlastung für die untersten Einkommensschichten "besonders gering", schreibt die EU-Kommission in dem Bericht.

Topverdiener schneiden bei Reform besser ab

Betrachtet man einzelne Personen (im Unterschied zu Haushalten), bleiben dem untersten Dezil (Zehntel) heuer 119 Euro oder 1,9 Prozent mehr im Börserl, während die Top-Verdiener (oberstes Dezil) um 3077 Euro (4,5 Prozent) besser abschneiden. Noch ungleicher sind die Effekte, wenn man die Verteilungswirkung auf Haushalte herunterbricht.

Nach dieser Betrachtung haben mehr als drei Viertel der ärmsten Haushalte gar nichts von der Reform, in Summe kommt dieses Zehntel nur auf eine Entlastung von knapp 0,5 Prozent. Die Bestverdiener zahlen in dieser Kategorie 4,4 Prozent weniger Steuern. In Verteilungsfragen wird der Betrachtung der Haushalte große Bedeutung beigemessen, da sie oft mehr über den Lebensstandard eines Landes aussagt als Untersuchungen auf individueller Ebene.

Geringfügig Beschäftigten entgeht Entlastung

Die Gründe für die Diskrepanz sind in der großen Gruppe von Erwerbstätigen zu suchen, die keine Steuern zahlen. Zwar wurden die mehr als 2,5 Millionen betroffenen Personen unterhalb der steuerpflichtigen Einkommensgrenze von 11.000 Euro ebenfalls bei der Reform berücksichtigt, indem die Gutschrift (Negativsteuer) von 110 auf 400 Euro steigt. Doch die Negativsteuer wird technisch über die Refundierung von Sozialversicherungsbeiträgen ausgeschüttet. Und geringfügig Beschäftigte – das sind derzeit rund 300.000 Österreicher – zahlen auch keine Sozialbeiträge, weshalb die Entlastung an ihnen völlig vorbeigeht.

Arbeiterkammerexperte: Kritik "nicht nachvollziehbar"

All diese Effekte wurden auch in bisherigen Analysen berücksichtigt, weshalb die Ergebnisse der EU-Kommission für das Wifo "überraschend" kommen, wie Silvia Rocha-Akis meint. Da sie die Annahmen der EU-Kommission nicht kenne, könne sie das Ergebnis auch nicht beurteilen. Ähnlich äußert sich Arbeiterkammerexperte Otto Farny. Die hohe Entlastung für Besserverdiener, wie sie Brüssel konstatiert, ist für ihn jedenfalls "nicht nachvollziehbar".

Eigene Berechnungen sowie die Untersuchung von Rocha-Akis hätten keine oder nur eine äußerst geringe Erhöhung der Ungleichheit ergeben. Allerdings hat auch der Budgetdienst des Parlaments eine interessante Berechnung erstellt. Demnach entfallen 22 Prozent der Entlastung auf das oberste Zehntel. (Andreas Schnauder, 1.3.2016)