Am Montag erscheint die britische Tageszeitung "The New Day" erstmals.

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Die erste Ausgabe ist kostenlos. In Zukunft sollen jedoch die Käufer 50 Pence (64 Cents) auf den Ladentisch legen.

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London – Unabhängig. Furchtlos. Analytisch. Solche Eigenschaften pflegen sich britische Blätter zuzuschreiben. Das neuste Produkt auf dem heißumkämpften Londoner Zeitungsmarkt hingegen versucht es mit einem Mementomori: "Das Leben ist kurz", heißt es unter dem Titel The New Day (der neue Tag). Spaßvögel könnten hinzufügen: besonders für neue Zeitungen. Das wäre aber schon deshalb unangemessen, weil das Motto weitergeht: "Life’s short, let’s live it well" – wenn das Leben schon so kurz ist, sollten wir es wenigstens "gut leben", frei übersetzt: "etwas daraus machen".

Why not?

"Warum eigentlich nicht?", mögen sich jene glücklichen Briten gesagt haben, die am Schalttag 2016 ein Exemplar des 40 Seiten starken, im Tabloidformat erscheinenden Blattes aus dem Verlagshaus Trinity Mirror ergatterten, zur Feier des Tages auch noch kostenlos. Fesch sieht er aus, der neue Tag mit seinem türkis gehaltenen Titelblock.

Die "exklusive" Titelgeschichte handelt von jenen 40.000 jungen Briten, die als Pfleger oder Aufpasser ihrer kranken oder behinderten Eltern fungieren. Das lange Feature dreht sich um das traurige Schicksal der Albinos in Tansania. Einer Semiprominenten wird das Recht zugesprochen, sich einen jüngeren Partner zu suchen – Human Touch allerorten. Premierminister David Cameron darf seine Argumente für die EU vortragen, eine Kunsterzieherin wünscht sich "mehr Informationen" über die bevorstehende Volksabstimmung, alles sehr gepflegt und unumstritten.

Moderner Pepp für Optimisten

"Eine moderne, peppige Zeitung" will Chefredakteurin Alison Phillips machen, und zwar für Optimisten, die ein zur Hälfte gefülltes Glas halbvoll wähnen, nicht halbleer. Die meisten Verleger und Print-Journalisten gehören also nicht zur Zielgruppe, schließlich suhlen diese sich gern in Jeremiaden über den seit Jahren scheinbar unaufhaltsamen Sinkflug ihrer Branche. Dementsprechend hat die erste Neugründung einer landesweiten Zeitung seit 30 Jahren viel Skepsis erregt, zumal der damals gegründete Vorgänger Independent (unabhängig) fast zeitgleich vom gedruckten Markt verschwindet.

Dessen Auflage lag einmal bei 420.000, zuletzt noch bei 55.000. Jetzt verlieren mehr als die Hälfte der 200 Journalisten ihre Jobs: Am Karsamstag verschwindet der gedruckte Independent im digitalen Orkus, letztes Beispiel einer traurigen Entwicklung.

Verlust von über 200 Lokalblättern

Seit 2005 hat das Land mehr als 200 Lokalblätter eingebüßt, die Gesamtauflage britischer Tageszeitungen sank binnen sieben Jahren um ein Drittel. Im Internet soll es den Independent weiterhin geben, gewinnträchtiger wird er dadurch nicht. Die Webseiten des Krawallboulevardblattes Daily Mail wie jene des seriösen Guardian gehören zu den beliebtesten englischsprachigen Nachrichtenseiten, schreiben aber rote Zahlen. Financial Times (erfolgreich) und The Times (weniger) versuchen es mit digitalen Zugangssperren, Murdochs Flaggschiff The Sun hat ihre Website kürzlich wieder freigeschaltet.

Der Verdacht liegt also nahe, dass im Zeitungsgeschäft so bald kein neuer Tag anbricht, jedenfalls kein sonderlich rosiger. Die Verlagsmanager bei Trinity Mirror (jüngster Gewinnrückgang vor Steuern: minus 18 Prozent) haben hart kalkuliert: Schon 100.000 verkaufte Exemplare würden dem New Day die schwarze Null bringen.

In Zukunft sollen die Käufer 50 Pence (64 Cents) auf den Ladentisch legen. Das ist kein hoher Preis. Allerdings liegt das journalistisch anspruchslose Konkurrenzblatt Metro in allen U-Bahnhöfen gratis aus, auch die Londoner Abendzeitung Evening Standard gibt es kostenlos. Mal sehen, ob sich die Briten ihren täglichen Schuss Optimismus etwas kosten lassen. (Sebastian Borger aus London, 1.3.2016)