Wien – Die Vereinten Nationen (UN) haben vor nationalen Alleingängen in der Flüchtlingskrise gewarnt. Migration und Flucht erforderten eine weltweite Teilung von Verantwortung, sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad Al-Hussein, am Montag in Genf zu Beginn der 31. Sitzung des Menschenrechtsrats.
"Akt der Grausamkeit"
"Immer höhere Mauern zu bauen als Reaktion auf die Flucht dieser verzweifelten Menschen, ist ein Akt der Grausamkeit und Selbsttäuschung", fügte er hinzu. Menschen, die vor Folter und Krieg geflohen seien, verdienten vielmehr das Mitgefühl der internationalen Gemeinschaft.
"Wir brauchen eine positivere Auffassung zur Rolle der Flüchtlinge", sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Schon nach der weitgehenden Abriegelung der Balkanroute für Flüchtlinge appellierte Ban, die Grenzen offen zu lassen. Das Grenzmanagement würde den tatsächlichen Flüchtlingsgrund nicht ändern.
Flüchtlinge hätten bei den immer restriktiveren Maßnahmen keine andere Möglichkeit, als in bereits überlasteten Ländern in der Nähe der Krisenherde zu bleiben, sagte Al-Hussein. Syriens Nachbarländer haben laut UN bereits 4,7 Millionen Menschen aufgenommen, während im Vorjahr rund eine Million Männer, Frauen und Kinder nach Europa kamen.
Westliche Minister forderten zudem, dass Kriegsverbrechen in Syrien vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag geahndet werden müssten. "Es wird keinen Frieden geben ohne Wahrheit und Gerechtigkeit", sagte der französischer Außenminister Jean-Marc Ayrault.
Angesichts der Konflikte in Syrien und Burundi, im Irak, Jemen und Sudan sowie in Libyen, Mali und Somalia sei das Leben von Millionen bedroht, sagte Al-Hussein. Die Auswirkungen dieser Konflikte würden voraussichtlich noch lange zu spüren sein.
Der UN-Menschenrechtsrat berät bis zum 24. März nicht zuletzt über die Folgen des Syrien-Kriegs und der Unruhen im afrikanischen Burundi.
Hilfe für syrische Flüchtlinge aufgestockt
Lob kommt indes vom Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen – vor allem für Deutschland. Die "noch nie dagewesene" Resonanz von Geberländern – vor allem von Deutschland – auf die Hilfsappelle stelle die Nahrungsmittelhilfen für die Flüchtlinge sicher, teilte die UN-Organisation am Montag in Rom mit.
Die eingegangenen Finanzzusagen belaufen sich demnach auf umgerechnet fast 620 Millionen Euro, davon 570 Millionen aus Deutschland.
Das Geld soll für die Flüchtlingshilfe in Jordanien, dem Libanon, dem Irak und Ägypten ausgegeben werden. Es werde möglich sein, das Leben der Schwächsten in Syrien und in der Region zu retten, erklärte das WFP. Auch sollten Schulmahlzeiten ausgegeben werden.
Das Welternährungsprogramm kümmert sich nach eigenen Angaben um 1,8 Millionen Flüchtlinge in der Region sowie um 4,5 Millionen Syrer innerhalb der Landesgrenzen. Fehlende Gelder hatten das Welternährungsprogramm in den vergangenen Jahren dazu gezwungen, seine Hilfe drastisch zu reduzieren.
Kommissionsvertreter: "Alleingänge vertiefen Probleme"
In der Flüchtlingsfrage meldete sich auch der Vertreter der Europäischen Kommission in Wien, Jörg Wojahn, zu Wort. Es gebe "für Österreich wenig Grund, sich wegen des einen oder anderen Briefes aus Brüssel ungerecht behandelt zu fühlen", sagt Wojahn. "Wir sind zu allen gleich streng", so der Kommissionsvertreter am Montag in einer Aussendung.
"Jeder in Brüssel erkennt Österreichs besonderes Engagement in der Flüchtlingskrise an", heißt es in der Aussendung. "Alleingänge aber verschieben oder vertiefen die Probleme. Sie führen zu keinen Lösungen." Es sei zwar "traurig, wenn in den Hauptstädten dazu nicht genügend geschieht", aber die EU-Kommission sehe nicht tatenlos zu, wie manche behaupteten. Es gebe über 60 Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten, die die gemeinsamen Asylvorschriften verletzten – darunter auch Österreich.
Kritik an Frontex
Kritik, wonach die EU-Grenzschutzagentur Frontex den Schutz der Außengrenzen nicht wahrnehme, lässt Wojahn nicht gelten. "Wie sollte sie? Frontex hat dazu gar nicht das Mandat, denn unsere Mitgliedstaaten wollten nie, dass es EU-Grenzschützer gibt." Deshalb habe die EU-Kommission im Dezember einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der einen echten EU-Grenz- und Küstenschutz schaffen soll. Einige Regierungen würden aber diese Grenztruppe verzögern, "unter dem Vorwand, irgendein überholtes Konzept von Souveränität hochzuhalten".
Auch der ÖVP-Sicherheitssprecher im Europäischen Parlament, Heinz Becker, hat sich am Montag für die Schaffung einer gemeinsamen EU-Grenz- und Küstenwache ausgesprochen. Der ÖVP-Politiker kritisierte im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ), der laut Becker gut daran täte, "sich zu informieren, bevor er die Verantwortungen in der europäischen Politik falsch darstellt. Der Grund für Krise und Chaos liegt nicht bei den EU-Institutionen, sondern ausschließlich im Versagen einzelner EU-Mitgliedsstaaten, die längst beschlossene Maßnahmen nicht umsetzen", erklärte Becker in einer Aussendung. (APA, 29.2.2016)