Wien – In Österreich ist das Versorgungsnetz für einen Teil von ihnen offenbar löchrig. Besonders dürfte dies sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche treffen. Der neue "Österreichische Kinder- und Jugendgesundheitsbericht" gibt dafür eindeutige Hinweise.

So zum Beispiel tendiert die Kindermedizin im niedergelassenen Bereich immer mehr in Richtung Wahl-Kinderärzte und damit in Richtung privater Zuzahlungen. "Im Jahr 2013 gab es in Österreich 565 niedergelassene Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde (Erstfach). Rund 300 von ihnen (53 Prozent) verfügten über einen Kassenvertrag. Seit 2001 ist die Zahl der Vertragsärzte weitgehend konstant geblieben, während die Zahl der Wahlärzte deutlich gestiegen ist (um 80 Prozent)", schrieben die Autoren.

Spitäler mangelhaft

In der Allgemeinmedizin zeigt sich hier ein ähnliches Bild. 2013 gab es 328 Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag pro 100.000 Kinder bis 14 Jahre. Ihre Dichte stieg durch die sinkenden Geburtenraten seit 2001 ein wenig. Die Ärztedichte im Wahlarztbereich hat sich aber seit 2001 bei den Allgemeinmedizinern um 62 Prozent erhöht. Die Spitäler sind ebenfalls in Sachen Kinder- und Jugendmedizin sprichwörtlich "unterbelichtet": Vier von neun Bundesländern weisen demnach nicht die Minimalvorgaben über die Zahl der Betten für Kinder in stationären Einrichtungen auf.

Seit Jahren beklagt werden auch die Defizite in der Kinderpsychiatrie. Laut Ärzteliste der Österreichischen Ärztekammer gab es im Jahr 2013 nur 31 Ärzte mit dem Sonderfach Kinder- und Jugendpsychiatrie (als Erstfach). Davon waren zehn im niedergelassene Bereich tätig (vier mit einem Kassenvertrag). In Wien und in Niederösterreich wurden zusätzlich Kassenstellen geschaffen. Doch auch bei Kinderpsychiatrie und Kinder-Neuropsychiatrie zeigt sich ein eklatanter Unterschied in den Ärztedichten zwischen Wahlarzt- und Kassenarztbereich.

Ähnlich schlecht sieht es bei der Psychotherapie aus. "Insgesamt erhielten im Jahr 2011 rund 13.000 Personen unter 19 Jahren eine Psychotherapie. Dies ist weniger als ein Prozent aller Kinder und Jugendlichen. In Anbetracht der Prävalenzzahlen (Häufigkeit von Störungen; Anm.) ist folglich von einem zusätzlichen Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung auszugehen. Den Prävalenzzahlen zufolge sind zumindest zehn Prozent aller Kinder und Jugendlichen behandlungsbedürftig (...)." Auch hier dürften die Knappheit des Angebots bzw. die Notwendigkeit für private Zuzahlungen gerade die Ärmsten am meisten treffen.

Hoher Anteil an Frühgeburten

Über dem europäischen Durchschnitt liegt die Kaiserschnittrate mit 29,8 Prozent im Jahr 2014 (1998: 14,6 Prozent). Im europäischen Vergleich relativ hoch ist mit acht Prozent der Anteil der Frühgeburten. Hier und bei den Mehrlingsgeburten dürfte die In-vitro-Fertilisation der Angelpunkt sein.

"Laut den Ergebnissen der letzten HBSC-Studie (2014 der WHO zur Kinder- und Jugendgesundheit) bezeichnen rund 40 Prozent der Elf-, 13- und 15-jährigen Schüler ihren Gesundheitszustand als ausgezeichnet (Burschen: 45 Prozent, Mädchen: 36 Prozent) (...), heißt es in dem Report. Umgekehrt bezeichneten sich im Rahmen der 2010 durchgeführten HBSC-Befragung 16 Prozent der Mädchen und Burschen als chronisch krank.

Während aus der deutschen KiGGS-Untersuchung zum Gesundheitsstatus der Sieben- bis 17-Jährigen hervorgeht, dass 5,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen Anzeichen einer depressiven Störung, zehn Prozent an Angstzuständen und 7,6 Prozent eine Störung des Sozialverhaltens zeigen, heißt es in dem Bericht zur österreichischen Situation: "In Österreich gibt es keine mit Deutschland vergleichbaren Daten zu psychischen Erkrankungen bzw. Auffälligkeit von Kindern und Jugendlichen. Regionale Erhebungen aus Kindergärten und Volksschulen geben Hinweise, dass bei rund zehn Prozent der Vier- bis Siebenjährigen Verhaltens- und emotionale Auffälligkeiten vorliegen."

Mehr Diabetesfälle

Übergewicht und mangelnde körperliche Betätigung sowie eine ungesunde Ernährung werden als Ursachen für immer mehr Typ-2-Diabetes-Erkrankungen angesehen. Das gilt offenbar auch für Kinder (bis 14 Jahre): Pro Jahr erkrankten 1999 noch zwölf von Hunderttausend Kindern an Typ-2-Diabetes. 2007 waren es in Österreich bereits 18,4. Der Umstand, dass die "neuesten" Daten zu Diabetes bei Kindern aus dem Jahr 2007 sind, belegt schlagend ein Faktum: Das epidemiologische Monitoring in Österreich ist auf einem kritisch zu beurteilenden Niveau.

Zwar ist die Sterblichkeit im Kindes- und Jugendalter seit vielen Jahren insgesamt rückläufig, aber dafür dürften die chronischen Erkrankungen zunehmen. Die Gewichtsproblematik setzt sich ab dem Jugendalter entsprechend fort: 2012 waren nur noch 67 Prozent der Stellungspflichtigen normalgewichtig, 28 Prozent über- und sechs Prozent untergewichtig.

Bei den Entwicklungsverzögerungen dürften zehn Prozent der Vier- bis Siebenjährigen Sprachprobleme haben, sechs bzw. 15 Prozent der Sechs- bis Zwölfjährigen zeigen Störungen bei schulischen Fertigkeiten. 19 Prozent der elf-, 13- und 15-jährigen Schüler fühlen sich durch die Schule nervlich stark belastet.

Zu wenig Bewegung

Der Lebensstil der österreichischen Kinde rund Jugendlichen ist jedenfalls nicht optimal: 73 Prozent der Burschen (elf bis 15 Jahre) und 85 Prozent der Mädchen "erreichen nicht das für Kinder und Jugendliche empfohlene Bewegungsausmaß von einer Stunde moderater bis intensiver Bewegung täglich, ältere Schüler und Schülerinnen noch seltener (...)." 22 Prozent der Elf- bis 15-Jährigen haben schon geraucht (täglicher Tabakkonsum: zehn Prozent der 15-Jährigen). Und: "Laut HBSC-Studie (2014) trinken rund sieben Prozent der österreichischen Kinder und Jugendlichen (elf, 13 und 15 Jahre; Anm.) regelmäßig Alkohol (mindestens einmal wöchentlich oder öfter). Zehn Prozent der 15-Jährigen haben schon zumindest einmal Konsumerfahrung mit Cannabis gehabt.

Der Gesundheitsstatus aller Menschen hängt ganz eng mit dem sozialen Status und den Einkommensverhältnissen zusammen. "Die Reichsten leben am längsten und sind am gesündesten. Die beinahe so Reichen leben schon nicht mehr so lange und so weiter", sagte der britische Sozialmediziner Sir Michael Marmot im Sommer 2015 bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen.

Auch in Österreich sind die Rahmenbedingungen offenbar sehr unterschiedlich. Der Kinder- und Jugendgesundheitsreport stellt dazu fest: 15 Prozent der österreichischen Bevölkerung waren 2013 armutsgefährdet. Bei den Kindern und Jugendlichen (bis 19 Jahre) lag dieser Anteil gar bei 18 Prozent. Eine dauerhafte Armutsgefährdung lag bei vier Prozent der Kinder und Jugendlichen vor. (APA, 29.2.2016)