Gernot Blümel versucht den Herausforderungen in Wien mit einem legeren Auftritt zu begegnen. Die Erwartungen der ÖVP sind groß.

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Wien – Noch blickt einer wie Erwin Pröll, Landeskaiser von Niederösterreich, mitleidig auf den Gernot Blümel herab: Das ist die dritte oder vierte Reihe in der ÖVP. Ein Zwerg. Aber Gernot Blümel wird noch wichtig werden, heißt es in der Partei. Muss wichtig werden. Denn ohne Wien kann die ÖVP keine Bundeswahl gewinnen.

Und in Wien schaut es für die ÖVP derzeit ganz traurig aus: ein Ergebnis unter zehn Prozent. Es ist der neue Tiefpunkt einer Stadtpartei, die 1983 noch 34,8 Prozent der Stimmen einheimsen konnte, mit dem Aufkommen der Grünen abstürzte und eine Zeitlang zwischen 15 und 20 Prozent stagnierte – und seit 2005 stetig verliert.

Am 11. Oktober 2015 setzte es 9,2 Prozent, die vorerst letzte Wahlschlappe, die auch das Selbstvertrauen der Bundespartei in ihren Grundfesten erschütterte. Die ÖVP ist in der Bundeshauptstadt viertstärkste Kraft, nur mehr knapp vor den Neos. Also musste Blümel ran. Er soll es richten. Die 50,8 Prozent eines Erwin Pröll sind allerdings für den Chef der Wiener ÖVP außerhalb jeder Vorstellungskraft.

Dilemma der Volkspartei

In Wien verdichtet sich das Dilemma der Volkspartei. Hier sind ihr auch die Kernwähler abhandengekommen, die man in den anderen Bundesländern noch gut bedienen kann. Der Ärger vieler Kleinunternehmer, die das Rückgrat der ÖVP ausmachen sollten, ist in Wien besonders deutlich zu spüren. Das Klagen über die Registrierkassenpflicht oder auch über das kommende Rauchverbot in den Lokalen wird hier besonders vehement geäußert.

Viele Wähler sind nach rechts und nach links ausgewichen. Das aufgeschlossene, liberale Bürgertum fand Gefallen am frischen Geist, den die Neos in die Politik zu bringen versuchen, viele Bürgerliche finden auch bei den Grünen neue Anknüpfungspunkte.

Glückloser Vorgänger Juraczka

Jene, die sich besonders ärgern, finden Gehör und Widerhall bei der FPÖ. Das Flüchtlingsthema schlägt auch bei den Schwarzen eine Schneise, trotz Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz, die für einen harten Kurs stehen. Doch dort steht Heinz-Christian Strache besser.

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Blümels glückloser Vorgänger Manfred Jurazcka versuchte mit einem abgespeckten Notprogramm – dem bedingungslosen Einsatz für den Autoverkehr und gegen die Gesamtschule – die verbliebenen Regimenter in Hietzing und Döbling bei Laune zu halten, auch das nur mäßig erfolgreich.

Blümel ist das Positionierungsproblem bewusst. Und er sagt, dass die Unzufriedenheit vieler Bürgerlicher mit der Regierung durchaus zu Recht bestehe. Aber er ist – wenn auch nicht selbst gewählt – Opposition in Wien, er muss nicht verteidigen, er kann angreifen. Er will dies konstruktiv, aber "laut" tun, wie er sagt.

Treueschwur auf die Republik

Seit Oktober vergangenen Jahres ist der 34-jährige Niederösterreicher Chef der Wiener Volkspartei, die in der Bundeshauptstadt mangels Regierungsbeteiligung de facto keine Rolle spielt. Regierung, das sind in Wien SPÖ und Grüne, Opposition, das ist in erster Linie die FPÖ, in zweiter Linie die Neos. Die ÖVP fand lange Jahre in keine glaubwürdige Rolle.

Für Blümel, zuvor Generalsekretär seiner Partei, ist das ein Lernprozess. "Wir haben die Opposition nicht in unserer DNA", sagt er, "diese Rolle muss geübt und perfektioniert werden." Blümel übt eifrig: Die Stadt Wien geißelt er für die laxen Kontrollen bei den islamischen Kindergärten oder die aus seiner Sicht ausufernden Sozialleistungen.

Jüngst machte er mit einem Vorschlag von sich reden, der zumindest ungewöhnlich war: Schüler sollten mit einer Werteformel einen täglichen Treueschwur auf die Republik leisten. Die Regierungsparteien SPÖ und Grüne konnten sich spöttische Kommentare nicht verkneifen. Blümel steht dazu und verteidigt das wortreich. Für mediale Aufmerksamkeit ist er offenbar bereit, sich weit aus dem Fenster zu lehnen. Wien bietet dem modebewussten jungen Mann, der gern auch mal die Krawatte weglässt und mit Jeans auftaucht, allerdings nur eine kleine Bühne.

Konstruktionsfehler

Für den Politikberater Thomas Hofer wohnt Blümels Bestellung zum Wiener Obmann ein "Konstruktionsfehler" inne. Er hat nun keinerlei Funktion mehr auf Bundesebene. Gegen die mächtigen Wiener Stadtpolitiker anderer Parteien anzutreten und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen – "da tut er sich schwer".

"Wenn man eine Bundesfunktion hat, könnte man sich auf einer anderen Ebene in die Wiener Politik einmischen", sagt Hofer. "Deswegen muss Blümel umso lauter sein, um gehört zu werden." Also zieht der Parteiobmann alle Register. Drei Presseaussendungen am Tag sind keine Seltenheit. Vor zwei Wochen stellte die ÖVP einen Antrag zum Erhalt des Bargelds – im Wiener Gemeinderat.

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Am 2. April findet in Wien ein schwarzer Parteitag statt, der neue Chef will Reformen in der Struktur, aber alte Werte beibehalten. "Die Wiener ÖVP muss sich den Glauben an sich selbst wiedergeben", sagt Blümel im Gespräch mit dem STANDARD. "Wir müssen lernen, uns wieder zu mögen." In Wien keine einfache Aufgabe. Blümel sucht daher intensiv den Kontakt zu den Funktionären, tingelt durch die Bezirke. Die sprichwörtliche Selbstherrlichkeit der schwarzen Bezirkskaiser hat zuletzt deutlich an Strahlkraft eingebüßt. Manche üben sich gar in Demut. Und neue Persönlichkeiten wie die Josefstädter Bezirksvorsteherin Veronika Mickel stehen für eine andere Politikergeneration.

Selbstbestimmtes Leben

Für Blümel sind politische Begriffe wie "liberal" und "konservativ" keine Gegensätze, betont er. Ihm gehe es um die Kombination von Freiheit und Ordnung. "So viel Freiheit wie möglich, so viel Ordnung wie notwendig", sagt Blümel. Und das klingt so, als ob er das nicht zum ersten Mal sagt. Seine Rede vom selbstbestimmten Leben ist gut vorbereitet.

Immerhin weiß Blümel, der in Moosbrunn aufgewachsen ist, wovon er spricht, besser als viele andere Würdenträger in der Partei. Die Grundsätze der ÖVP und deren Wertekanon hat er, zumindest theoretisch, im kleinen Finger. Blümel hat Philosophie studiert, seine Diplomarbeit hat er zum "Personenbegriff in der Christlichen Soziallehre und -philosophie unter der besonderen Berücksichtigung von Vogelsang, Lugmayer und Messner" geschrieben.

Blümel hat aber auch einen Hang zum Praktischen, seine Seilschaft quer durch die Partei ist gut abgesichert. Mit der Zukunftshoffnung der Partei, mit Außenminister Sebastian Kurz, verbindet ihn eine Freundschaft, die für eine weitere Karriere in der Partei nicht zum Nachteil sein sollte.

Seilschaft durch die Länder

Auch die Vernetzung in die Länder ist eng geknüpft: Zur Blümel-Blase werden neben Staatssekretär Harald Mahrer auch Helena Kirchmayr, Klubobfrau der ÖVP in Oberösterreich, die niederösterreichische Landtagsabgeordnete Bettina Rausch, die Kärntner EU-Abgeordnete Elisabeth Köstinger und der Bezirksvorsteher der Inneren Stadt in Wien, Markus Figl, gezählt. Das könnten Funktionäre sein, die in der ÖVP das Sagen haben werden, wenn Erwin Pröll abgedankt hat und Reinhold Mitterlehner abgelöst wurde.

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Parteichef Mitterlehner hat Blümel nicht erfunden, sondern ihn von seinem Vorgänger Michael Spindelegger übernommen. Blümel hatte seine Laufbahn in der ÖVP als parlamentarischer Mitarbeiter von Spindelegger begonnen, war dessen Kabinettschef und wurde von diesem schließlich zum Generalsekretär gemacht. Mitterlehner schätzt an Blümel dessen straffe Organisation und eine gewisse rhetorische Überzeugungskraft vor allem nach innen hin. Spätestens 2018 stehen die nächsten Nationalratswahlen ins Haus. Bis dahin muss die Wiener ÖVP in die Gänge gekommen sein, sonst ist der Absturz auch auf Bundesebene gewiss. Auch deshalb hegt und pflegt der Oberösterreicher Mitterlehner den Niederösterreicher Blümel, der in Wien seine politische Heimat sucht. (Sebastian Fellner, Michael Völker, 29.2.2016)