Anfang Oktober 2015 behauptete Angela Merkel (re.) bei Anne Will: "Wir schaffen das."

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Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert die Kurswende Österreichs in der Flüchtlingspolitik zu Obergrenzen für Neuankömmlinge. Vor allem der Zeitpunkt dafür genau vor dem EU-Rat am 18. Februar sei "etwas unglücklich" gewesen, sagte sie am Sonntagabend im ARD-Talk von Anne Will (hier die Sendung in der ARD-Mediathek). Wenn Österreich nicht einseitig seine Maßnahmen eingeführt hätte, "hätten wir auf den regulären Rat am 18. März warten können". Somit hätte man "noch etwas mehr Zeit gehabt", etwa in Griechenland Unterbringungsmöglichkeiten zu errichten, sagte Merkel. Dann hätte man in Europa "überlegen können, wie wir die Umverteilung hinbekommen hätten. Wir hätten mehr Zeit gehabt."

So aber habe der nächste EU-Gipfel auf den 7. März vorgezogen werden müssen. "Weil nun Österreich so entschieden hat, ist das entstanden, was wir hier sehen", sagte Merkel und nahm damit auf die Zahl der Flüchtlinge Bezug, die nun in Griechenland stark gestiegen sei. "Wir können Griechenland nicht einfach sitzen lassen", erklärte Merkel. Es sei eine "verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dass Europa einen gemeinsamen Weg findet".

Erneut einziger Gast

"Wir schaffen das!" Noch Anfang Oktober hatte die deutsche Kanzlerin dieses mittlerweile legendär gewordene Motto verteidigt und in Plauderton bei Anne Will Zuversicht zu verbreiten versucht. Am Sonntagabend kam sie wieder als einziger Gast in Wills Sendung, es war ein eher überraschender und erst drei Tage vorher angekündigter Besuch. Zu besprechen aber gab es genug. "Deutschland gespalten, in Europa isoliert. Wann steuern Sie um, Frau Bundeskanzlerin?", lautete die Frage der Sendung.

Doch Will begann nicht mit dieser Frage, die ganz Deutschland in der Flüchtlingspolitik bewegt – nämlich wann denn auch Deutschland (s)eine Kurskorrektur in der Asylpolitik einleiten werde. Es ging zunächst allgemein um Deutschlands Zustand. Merkel will das Land nicht gespalten sehen. "Es gibt harte Diskusionen, es gibt Polarisierung", räumte sie ein. Aber das sei nichts Neues, wenngleich die Polarisierung größer geworden sei. Fremdenfeindliche Übergriffe wie in Bautzen und Clausnitz verurteilte sie. "Man kann Sorge haben", sagt Merkel, aber es gebe Grenzen. "Da sind Bürger Deutschlands. Die tun etwas, was ich zutiefst ablehne."

Noch einmal fragte Will, ob nicht auch Merkel mit ihrer Politik zur Spaltung beitrage. Nein, antwortete die Kanzlerin und erklärte: "Das ist eine Zeit, eine Herausforderung, die habe ich mir nicht ausgesucht, die hat sich niemand ausgesucht."

Sie müsse sich aber fragen, "was ist nachhaltig und richtig für Deutschland". Und da laute die Antwort: "Europa zusammenhalten und Humanität zeigen." Das funktioniere nicht "durch einseitige Grenzschließung oder was auch immer". Für die Lösung brauche man eine bestimmte Zeit. Sie verstehe, dass viele Menschen ungeduldig seien, versicherte jedoch: "Wir sind auf einem vernünftigen Weg." Allerdings räumte Merkel auch ein: "Die Menschen werden, solange sie den nachhaltigen Erfolg noch nicht sehen, sagen, die Politik habe es nicht im Griff."

Merkel: "Richtiger Weg"

Dann, nach 15 Minuten, stellte Will ihre Frage konkret: "Steuern Sie um, Frau Bundeskanzlerin?" Davon will Merkel nichts hören. "Nein", antwortet sie, "weil ich zutiefst überzeugt bin, dass der Weg, den ich eingeschlagen habe, der richtige ist." Die Lösung der Flüchtlingskrise liege in der gemeinsamen europäischen Verantwortung.

Merkel wirkte während der gesamten Sendung gelassen, kein bisschen gereizt, auch als Will nach Obergrenzen fragte, die Österreich schon eingezogen hat, die Merkel hingegen strikt ablehnt. "Dazu kann ich Ihnen nichts sagen", erklärte sie, "wir arbeiten aber daran, dass die Fluchtursachen bekämpft werden." Hier erlaubte sich Merkel sogar einen kleinen Scherz und fragte, ob sie an dieser Stelle der Sendung schon darüber sprechen dürfe, was alles an Maßnahmen erfolge. Es folgten die bekannten Punkte: Bekämpfung des Schlepperwesens, besserer Schutz der EU-Außengrenzen, Zusammenarbeit mit der Türkei.

Und wenn das alles nicht klappen werde, wollte Will wissen. Werde Merkel dann aufgeben und doch die Grenzen schließen? Deren Antwort: "Nein, da muss ich weitermachen." Das Treffen am 7. März sei ein wichtiger Gipfel, aber dann gebe es einfach am "18. März den nächsten". Sie sei "sehr optimistisch, dass uns der europäische Weg gelingt". Es sei "überhaupt nicht der Zeitpunkt, über Alternativen nachzudenken". Ein Schlusswort gab es auch noch: "Ich bin guten Mutes. Nur wer an sich selbst glaubt, kann Erfolge erringen."

Mikl-Leitner: "Wir bremsen weiter"

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wies die Kritik an der österreichischen Flüchtlingspolitik als "absurd" zurück. Deutschland habe im Dezember selbst Tageskontingente eingeführt und damit einen "gewaltigen Rückstau bei uns" verursacht, teilte Mikl-Leitner in der Nacht auf Montag mit. "Wir bremsen weiter – und das machen wir übrigens bereits auch für Deutschland."

Österreich werde dafür kritisiert, Migranten nicht mehr unbegrenzt einreisen zu lassen, und dafür, einen Teil nach Deutschland weiterreisen zu lassen. "Anscheinend scheint für manche die europäische Lösung darin zu bestehen, dass sich alles in Österreich sammelt", erklärte Mikl-Leitner. Dabei nehme Österreich auch heuer mehr Menschen auf als der überwiegende Teil der anderen Länder. "Wir müssen uns also sicher keinen Vorwurf gefallen lassen – von keiner Seite."

Finanzielle Hilfe für Griechenland

"Den Österreichern muss man von Druck nichts erzählen", sagte die Innenministerin zum Rückstau von Flüchtlingen in Griechenland wegen der von Wien orchestrierten Schließung der Balkanroute. Als Deutschland Tageskontingente eingeführt habe, habe das einen Rückstau in Österreich verursache. "Kurzfristig mussten wir bis zu 18.000 Menschen tagelang zusätzlich notversorgen, die eigentlich nach Deutschland wollten." Damals habe es keinen europaweiten Aufschrei gegeben.

Mikl-Leitner räumte ein, dass es "jetzt auch in Griechenland Druck" gebe. "Und wir helfen finanziell." Es brauche aber einen Paradigmenwechsel. An erster Stelle müsse das Retten stehen, an zweiter Stelle die Zurückweisung. "Dann haben die gefährlichen Überfahrten sofort ein Ende." (Birgit Baumann aus Berlin, APA, 28.2.2016)