An der Bibliothek der Uni Wien wird längst mit Laptops und Tablets gelernt.

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In der Bibliothek der Loughborough University liegen Lernen und Austausch räumlich eng beisammen.

Foto: Loughborough University,

Wien – Google statt Geschichtsbuch: So wie in den meisten Bereichen, hält die Digitalisierung auch in den heimischen Universitätsbibliotheken Einzug. Dort steht bereits auf jedem zweiten Tisch ein aufgeklappter Laptop – kein Wunder, denn ein großer Teil der Literatur ist bereits im Netz verfügbar. So hat etwa die Universität Wien, die die größte Bibliothek Österreichs beherbergt, mittlerweile 325.000 E-Books, 80.000 E-Journals im Sortiment. Bis alles online zu lesen ist, ist es nur noch eine Frage der Zeit – schließlich werden bereits zwei Drittel der Bücher in digitaler Form eingekauft, heißt es vonseiten der Universität.

Mit der Umstellung auf digital reagierte man auf die Bedürfnisse der Studierenden, in der Mehrheit "Digital Natives", die es gewohnt sind, jede Information online zu finden, sagt Maria Seissl, Leiterin des Bibliotheks- und Archivwesens der Universität Wien. Denn wer blättert denn ein Lexikon durch, wenn Google die Information in Minutenschnelle ausspuckt? Und wer schleppt schon gerne einen Stapel Bücher durch die Gegend, wenn ein Tablet wesentlich leichter wiegt?

Sind Bibliotheken sinnlos geworden?

Sind Bibliotheken als physische Orte also sinnlos geworden? Keineswegs, meint Seissl, "wer schon mal hier war, weiß sofort: Die Bibliothek ist stark identitätsstiftend. Sie erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit." Paul Sturges, der an der englischen Loughborough University zum Wandel von Bibliotheken forscht, schreibt in einem Aufsatz zum Thema: "Menschen wollen immer noch Information, obwohl ihr Wunsch nach gedrucktem Material weniger wird." Das zeigt sich auch in der geschichtsträchtigen Bibliothek der Uni Wien: Studierende lesen dort emsig ihre E-Books und Online-Papers, zwischen Bücherwänden, die einem Harry-Potter-Film entlehnt scheinen. Auf Stühlen aus dunklem Kirschenholz sitzend, vor grünen Lampen mit Goldsichel.

In den Lernpausen wird die Unibibliothek dann zum Treffpunkt. Kleingruppen unterhalten sich vor dem Lesesaal, Lernpartner trinken in Lernpausen zusammen Kaffee. "Der Großteil der Leute ist sozial und möchte Geselligkeit mit anderen Aktivitäten kombinieren", sagt Sturges. Menschen würden Bibliotheken zunehmend als eine Art "dritten Raum" schätzen, der weder ihr Zuhause noch ihr Arbeitsplatz ist.

Weiter Bedeutung

Bibliotheken haben ihre Bedeutung also offensichtlich zwar nicht verloren – aber ihre Funktion hat sich im Laufe der Zeit radikal verändert. Von Büchertempeln sind sie zu Orten geworden, an denen Studierende nebeneinander lernen können. Anstatt einer Menge an Informationen bieten sie der Überflutung Einhalt, die Möglichkeit zur Konzentration, zur Besinnung auf das Wesentliche. Und Gelegenheit zum Austausch.

Eine Bibliothek, die am Puls der Zeit bleiben möchte, darf sich dem technologischen Wandel nicht verschließen, sagt Sturges – plädiert aber für Vorsicht und Beobachtung im Innovationsprozess. "Alles sofort auf digital umzustellen halte ich für einen Irrweg." Nach Printprodukten würde nach wie vor gefragt, so der Wissenschafter. "Zum Lernen nehmen Studierende immer noch gerne gedruckte Bücher", meint auch Seissl. "Aber das ändert sich ebenfalls langsam, je besser die digitalen Lehrbücher, die wir einkaufen, werden."

Auch das architektonische Design von Bibliotheken muss überdacht werden. Dass Studierende sich austauschen wollen, immer lieber online lesen, müsse bei der Gestaltung unbedingt berücksichtigt werden, sagt Wolfgang Nikolaus Rappert, der als stellvertretender Leiter der Uni-Wien-Bibliothek unter anderem für Bauprojekte zuständig ist. Nötig würden mehr Computerräume und Gruppenarbeitsplätze. "Am besten ist alles, was man zum Studieren braucht, in einem Raum." Bei Neubauten wie der Wirtschaftsuniversität Wien könne das im Vorhinein gut geplant und dann auch realisiert werden – in geschichtsträchtigen Gebäuden wie dem Hauptgebäude der Uni Wien sei das schwieriger.

Wandel – immer wieder

In der Pilkington-Bibliothek der Loughborough University, die Sturges als Musterbeispiel einer innovativen Universitätsbibliothek nennt, machen flexible Bauteile Veränderung möglich. In den 1980er-Jahren errichtet, besteht das Gebäude aus vier Etagen, rund um vertikale Pfeiler, die sein Gewicht tragen. "Die Wände zwischen den Räumen können herausgenommen und wieder eingefügt werden, sind also auf jeder Etage flexibel." Kürzlich wurde das Gebäude komplett umfunktionalisiert, "um dem Rechnung zu tragen, wie Studierende Bibliotheken heute nutzen wollen."

Auf zwei Etagen wichen Bücher Computerplätzen, Einzelarbeitsplätzen und Plätzen für Gruppenarbeit. "Die einzelnen Bereiche sind abgetrennt mit Glaswänden. Man kann also durchsehen, das signalisiert Offenheit", sagt Sturges. Zwischen Bibliothekscafé und Bibliotheksräumlichkeiten gibt es keine Absperrungen mehr. "Sollten sich die Bedürfnisse erneut ändern, kann man auch diese Aufteilung wieder verändern und adaptieren", sagt Sturges. "Und das wird mit Sicherheit der Fall sein." (Lisa Breit, 8.3.2016)