Im sächsischen Bautzen stand am vergangenen Wochenende ein noch unbewohntes Flüchtlingsheim in Flammen, die Polizei geht von Brandstiftung aus. Passanten applaudierten, als Flammen hochschlugen.

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Ulrich Wagner: Alternative für Deutschland hat Mitschuld.

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STANDARD: Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland steigt. Vor kurzem brannte im sächsischen Bautzen eine Unterkunft, in Clausnitz hinderte der Mob Flüchtlinge am Betreten ihrer Bleibe. Muss man sich an solche Szenen gewöhnen?

Ulrich Wagner: Man möchte das natürlich nicht, aber es ist eine weitere Eskalation zu befürchten, wenn sich politisch nichts ändert. Seit Sommer 2015 sind die Menschen in Deutschland sehr verunsichert, wie es mit den vielen Flüchtlingen weitergehen soll. Wenn Menschen unsicher sind, suchen sie nach einfachen Antworten. Und die einfachste Antwort ist dann: Die Flüchtlinge sind irgendwie selber schuld. Das rechtfertigt sozusagen, dass man gegen Geflüchtete selber vorgeht.

STANDARD: Vielerorts herrscht in Deutschland die Meinung, Kanzlerin Angela Merkel sei schuld.

Wagner: Ich glaube nicht, dass die Entscheidung, mit Österreich all die Menschen aufzunehmen, der Grund für gestiegene Fremdenfeindlichkeit ist. In beiden Ländern setzte eine große Welle der Hilfsbereitschaft ein. Problematisch aber ist, dass Merkel keine Lösung dazu anbot, wie man es schaffen solle. Dann sah man wochenlang Bilder von überfüllten Unterkünften und unwürdigen Zuständen. Das machte die politische Hilflosigkeit deutlich und verstörte auch Gutwillige.

STANDARD: Inwiefern haben die Ereignisse von Köln in der Silvesternacht das Misstrauen vergrößert?

Wagner: Das hat leider in hohem Maß dazu beigetragen. Es war ein schreckliches Ereignis in Köln. Aber plötzlich herrschte in ganz Deutschland das Gefühl: Das kann auch mir überall passieren.

STANDARD: Wer protestiert vor Flüchtlingsunterkünften? Das sind doch nicht nur Neonazis.

Wagner: Die Rädelsführer kommen aus dieser Szene. Das wissen wir auch aus Untersuchungen in den Neunzigerjahren, als es in Deutschland eine Reihe schrecklicher Vorkommnisse gab – in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Aber in der Masse steht auch die bürgerliche Mitte, die um ihre Pfründe fürchtet.

STANDARD: Als Einzelpersonen würden viele davon wohl nicht so handeln.

Wagner: Nein. Das ist Gruppendynamik. Die Menschen sind aufgeheizt, oft angetrunken, es schaukelt sich hoch.

STANDARD: Trägt die Alternative für Deutschland (AfD) zur Verschärfung des Klimas bei?

Wagner: Natürlich. Wenn der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke vom "lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp" spricht, ist das eine eindeutige rassistische Äußerung. Die AfD tritt im Osten Deutschlands viel radikaler auf als im Westen, weil sie auf dieser Schiene zulegen kann. Im Osten haben die Menschen nicht die gleiche interkulturelle Kompetenz wie im Westen, weil es weniger Ausländer gab und gibt.

STANDARD: Wie soll man auf fremdenfeindliche Angriffe reagieren?

Wagner: Wichtig ist, mit aller Klarheit und strafrechtlichen Konsequenzen gegen die Rädelsführer vorzugehen. Dann braucht es eine deutliche Verurteilung durch Politiker. Sie müssen zeigen, dass es Grenzen gibt, die nicht zu überschreiten sind. Natürlich sollte man auf die Mitläufer zugehen und mit ihnen reden.

STANDARD: Wen sehen Sie diesbezüglich in der Pflicht?

Wagner: Die Politik, Kommunalpolitiker vor Ort, aber auch den anderen, erfreulicherweise größeren Teil der Gesellschaft. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und es passiert ja auch viel, vor allem in Schulen, wenn Kinder zusammen lernen und Eltern zusammenkommen. Jeder kann ein bisschen dazu beitragen. Und wir sollten in Deutschland wie in Österreich aufhören zu diskutieren, ob die Flüchtlinge kommen sollen oder nicht. Sie sind ja schon da. Jetzt müssen wir gemeinsam daraus das Beste machen. (INTERVIEW: Birgit Baumann, 27.2.2016)