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David Grossman, der große Erzähler einer von der Shoah und der Besatzung gezeichneten israelischen Nation, setzt sich in seinem Roman "Kommt ein Pferd in die Bar" mit den Leuten ins Publikum und sieht Dovele bei der Arbeit zu.

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Kennen Sie den? Geht ein Mann auf eine Bühne und erzählt keinen Witz. Nun gut, das ist jetzt nicht sehr witzig, aber vielleicht geht es ja um etwas anderes.

Tatsächlich, das ist genau der Fall in dem neuen Roman von David Grossman, in dem ein Mann namens Dov "Dovele" Grinstein auf eine Bühne geht und keinen Witz erzählt. Dabei ist er als Stand-up-Comedian gebucht, und die Leute sind gekommen, um sich zu unterhalten. Da haben sie sich aber schön getäuscht. Sie bekommen "einen Performer aus der Hölle", und irgendwann zwischendurch durchschaut jemand aus dem Publikum die ganze Sache: "Der ist doch selber heute der Witz." Ein Witz ohne Pointe, an einem Abend, der allmählich in sich zusammenfällt, wie Dovele selbst, der ja als Alleinunterhalter alles allein machen muss, zum Beispiel auch, sich selbst zu vermöbeln. Seine Brille geht dabei zu Bruch, irgendwann ist er nur noch ein Häufchen Elend.

David Grossman, der große Erzähler einer von der Shoah und der Besatzung gezeichneten israelischen Nation, setzt sich in seinem Roman "Kommt ein Pferd in die Bar" mit den Leuten ins Publikum, und sieht Dovele bei der Arbeit zu. Der Titel des Buchs spielt auf einen Witz an. Denn so beginnen Witze nun einmal gern. Kommt ein Pferd in eine Bar und bestellt ein Bier. Die Pointe käme dann irgendwann nach dem zweiten Wodka, aber da ist Grossman, da ist Dovele schon wieder ganz woanders.

Vor 30 Jahren hat David Grossman seinen ersten Roman "Das Lächeln des Lammes" veröffentlicht, und seit damals erzählt er immer auch vom Erzählen selbst. In seinem Hauptwerk, "Stichwort: Liebe", hat er dem Dichter Bruno Schulz eine Liebeserklärung gewidmet, in mancherlei Hinsicht ist der Komödiant Dovele Grinstein ein Wahlverwandter dieser Schlüsselfigur. Ein heiliger Narr, der seinen 57. Geburtstag zu einer großen Abrechnung nützt. Mit wem rechnet er ab? Mit sich selbst, klarerweise. Er gehört nicht zu jenen, die etwas auf andere Leute schieben. Die einzige Zumutung, die er sich leistet, ist die, dass die Leute ihm zuhören sollen.

Große Abrechnung

Grinstein hat sich für diesen Abend so manches ausgedacht, und er hat auch einen Zeugen dazugebeten: Avischai Lasar, der Erzähler, sitzt im Publikum weit hinten, er ist allein, und er rätselt über seine Aufgabe. "Wieder schaut er zu mir. Seine Augen glühen vor Panik und flehen mich an." Der flehentliche Blick zielt auf einen entgegneten Blick. Dovele will gesehen werden, er erhofft sich von dem Bekannten aus der Kindheit, der als Anwalt Karriere gemacht hat, etwas, was ihm kein Spiegel geben kann: eine Beobachtung der Wirkung eines Menschen. "Was strahle ich aus?" Niemand kann das von sich selbst genau wissen, im Gegenteil kann man sich darin mächtig täuschen.

Lasar, seit drei Jahren Witwer, seit drei Jahren ganz und gar in seiner Trauer versunken, ist das Gegenüber von Dovele. Er verwandelt diesen Abend in einen Text und versucht dabei, das flirrende Hin und Her zwischen der Beschreibung einer "ebbes alternativ" geratenen Stand-up-Routine und den darin enthaltenen Rückblenden und Abschweifungen so halbwegs überschaubar zu halten.

Denn Grinstein überfordert sein Publikum in mehr als einer Hinsicht. Nicht nur haben seine wenigen Witzen ganz eindeutig bloß den Zweck, die Leute irgendwie bei der Stange zu halten, er mutet ihnen dann auch noch eine lange Erzählung zu, die von einer Autofahrt handelt und die er auf eine groteske Weise ins Unendliche zu dehnen scheint. Es ist eine Rückblende in die Zeit, in der Dov Grinstein vierzehn Jahre alt war und als er mit dem Erzähler gemeinsam in einem Sommercamp war. Beide Außenseiter, aber der junge Grinstein noch in viel schlimmerem Ausmaß als Lasar, der in diesem Sommer seine erste Liebe trifft. Hier klingt deutlich das zentrale Thema des Romans an: Das Leben ist eine Selektion. Einer erlebt im Camp seinen ersten Kuss, einer muss frühzeitig abreisen, und zwar zu einer Beerdigung. Einer steht auf der Bühne, einer sitzt im Publikum. Einer kann nicht anders, als sich in einer Performance radikal zu verausgaben, einer hat die Ruhe weg und unterwirft alles seinem objektivierenden Blick eines Erzählers. Das Richteramt, das Avischai Lasar versehen hat, stand auch im Zeichen einer Selektion. Allerdings waren seine Urteile nicht nur "messerscharf", wie Dovele ihm bescheinigt, sondern sie waren auch Ausdruck von Komplexität: "Das war manchmal richtig Literatur."

Unverkennbar steckt in diesem Avischai Lasar eine Art Selbstporträt von David Grossman, kein biografisches, sondern ein poetologisches: eine Reflexion auf die Distanz des Beobachters, auf die Einsamkeit dessen, der sieht und dem sich der Blick doch nur allmählich klärt.

Anders als manche früheren Bücher, in denen Grossman epischen Atem bewies, ist "Kommt ein Pferd in die Bar" eher eine Tour de Force, ein Erzählexperiment auf dem gespannten Seil einer Aufmerksamkeit, die ein Mann einfordert, der diese Aufmerksamkeit gleichzeitig unentwegt zerstreut, indem er Haken schlägt, indem er sich von seiner Aufgabe entfernt. Er ist ein Alleinunterhalter, doch das mit der Unterhaltung erweist sich als schwierig, und so ist Dovele am Ende in erster Linie allein.

Lässt sich ein Comedy-Abend tatsächlich so erzählen, dass daraus ein Roman wird? Das Formexperiment, das in "Kommt ein Pferd in die Bar" auch steckt, geht überraschend gut auf, sieht man einmal davon ab, dass das Ende des Buches selbst etwas von der Erschöpfung, von der Entleerung des Protagonisten in sich aufzunehmen scheint: Am Ende geht alles ganz schnell, und so manche Figur bleibt auf das schattenhafte Dasein verwiesen, das sich im Dunkel des Zuschauerraums nie deutlicher konturieren konnte.

Kathartische Gleichzeitigkeit

Der Act verwandelt sich in eine Erzählung, an manchen Stellen fast schon in einen Thriller, wenn Lasar andeutet, dass er sich vorkommt wie ein Auftragskiller, der Grinstein bei seinem definitiv letzten Auftritt eine große Last abnehmen soll. In der Auflösung des Acts kann man auch eine Menge von den großen Veränderungen in der Stand-up-Kunst wiedererkennen, die sich nicht zuletzt jüdischen Comedians wie Lenny Bruce verdanken. Ob Grossman bei der Figur von Grinstein an diesen legendären, auch legendär selbstzerstörerischen amerikanischen Star gedacht hat, ist dem Buch nicht zu entnehmen. Hier ist der Horizont strikt der Staat Israel mit seinen Ritualen für die Jugend, mit seiner Identitäten prägenden Wehrhaftigkeit, mit seiner Vorgeschichte in Europa, die vor allem Grinsteins traumatisierte Mutter nicht loswird.

Dov "Dovele" Grinstein schafft mit seinem Act eine kathartische Gleichzeitigkeit: Ein "vierzehnjähriger Greis und ein siebenundfünfzigjähriges Kind" stehen miteinander auf der Bühne, eingesperrt in einen Körper, den er entsprechend malträtiert. Die Spaltung ist selbst noch einmal Symptom einer Selektion, die aus der Struktur der Familie entsteht: Zwischen Vater und Mutter, zwischen zwei miteinander korrespondierenden Versuchen, den Tod in Schach zu halten, meint der Junge sich entscheiden zu müssen.

Es ist der literarisch gebildete Richter "am obersten Gerichtshof" Avischai Lasar, der schließlich die große literarische Referenz in "Kommt ein Pferd in die Bar" begreift: Kafkas Novelle "Das Urteil" steht hier Pate, eine unauslotbare Geschichte über die Unmöglichkeit, den Eltern gerecht zu werden. Im Kern ist David Grossmans neues Buch auch eher eine Novelle als ein Roman, eine unerhörte Begebenheit, aber es wäre eher spitzfindig, auf dieser Unterscheidung zu bestehen. Denn Kafka hat sich ja in anderen Texten, auch Romanen und Roman-Fragmenten, an dieser existenziellen Grundsituation abgearbeitet, die Grossman in seinem Buch mit einer "klassischen Frage aus dem Zen-Dovismus" anspricht: "Ein Mann steht im Wald, ganz allein, um ihn herum kein Mensch, keine lebende Seele: ist er trotzdem schuldig?" Die Antwort auf diese Frage wirft einen "Seelenschatten" auf das Leben, den zu verkörpern Dovele Grinstein auf sich genommen hat, ein "alter Zyniker" schon von Kindesbeinen an. Das Urteil, das Avischai Lasar über ihn spricht, kann nur nachsichtig sein. Alles andere wäre ein Witz. (Bert Rebhandl, Album, 27.2.2016)