Karl Blecha wünscht sich mehr Eifer der Genossen für das neue Parteiprogramm: "Die revolutionären Aufmüpfigen drängen sich mir viel zu wenig auf."

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Sie sind 83 Jahre und dennoch voll aktiv. Was wäre so schlimm, wenn das Pensionsalter automatisch mit der Lebenserwartung angehoben würde, damit auch andere Leute länger arbeiten?

Blecha: Länger arbeiten ist schön und gut, nur muss es dafür die altersgerechten Jobs geben. Doch daran hapert es in Österreich. Wir haben die höchste Zuwachsrate bei den Arbeitslosen im Alter von 55 plus, die Zahl der Arbeitslosen insgesamt ist mit einer halben Million so hoch, dass das Sozialsystem gefährdet ist. Man muss deshalb am Arbeitsmarkt ansetzen, irgendeine Automatik hilft da gar nichts. Ein höheres gesetzliches Pensionsalter läuft nur auf eine Pensionskürzung hinaus.

STANDARD: Das stimmt so nicht. Wer im gleichen Alter wie bisher in Pension geht, müsste mehr Abschläge zahlen – genauso gut kann man aber länger arbeiten und damit eine höhere Pension erwerben.

Blecha: Das geht jetzt auch schon.

STANDARD: Nur wenn der Arbeitgeber mitspielt und den Mitarbeiter nicht in die Pension drängt.

Blecha: Deshalb fordere ich einen stärkeren Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer, wie es ihn in Schweden gibt – bei Krankenstand muss es überhaupt ein Kündigungsverbot geben. Das soll aber mit einer Abflachung der Einkommenskurven gekoppelt werden. Wir müssen weg von dem Prinzip, dass du in jungen Jahren ganz wenig bekommst und im Alter ganz viel. Sie sehen: Ich bin alles andere als ein Bremser und für viele Reformen. So will ich auch die Unternehmer von den in Österreich exorbitanten Lohnnebenkosten entlasten, dank einer Wertschöpfungsabgabe ...

STANDARD: ... gegen die sich die Unternehmervertreter allerdings mit Händen und Füßen wehren.

Blecha: Immer mehr Arbeitgeber werden umdenken. Die Wertschöpfungsabgabe belastet die Wirtschaft insgesamt nicht mehr. In einem ersten Schritt könnten die Beiträge für den Familienlastenausgleichsfonds nicht allein an den Löhnen, sondern an der gesamten Wertschöpfung im Unternehmen bemessen werden. Wer im Sog der vierten industriellen Revolution mit menschenleeren, internetgesteuerten Fabrikshallen immer höhere Gewinne erwirtschaftet, muss auch zur Finanzierung des Sozialstaates beitragen.

STANDARD: Gegenargument der Industrie: So eine Abgabe behindere die Kapitalbildung und somit Investitionen.

Blecha: Investitionen sollen ausgenommen werden. Ich will Betriebe nicht über Gebühr belasten, sondern den Faktor Arbeit – und damit Firmen mit viel Personal – entlasten.

STANDARD: Was wollen Sie beim Pensionsgipfel am 29. Februar noch erreichen?

Blecha: Dass dieser zum Arbeitsmarktgipfel wird. Wir brauchen eine Joboffensive – Anstöße, um Leute auszubilden und zu beschäftigen. Bisherige Reformen gilt es zu überprüfen – so muss das Bonus-Malus-System verschärft werden. Die Auflösungsabgabe von 236 Euro, die bei einer Kündigung verhängt wird, zahlen Unternehmer aus der Portokassa. Das schreckt niemanden ab, ältere Mitarbeiter zu kündigen.

STANDARD: Man hat das Gefühl, dass SPÖ und ÖVP da aneinander vorbeireden. Ist die Koalition noch fähig zum Kompromiss?

Blecha: Ich bin nicht die Regierung, sondern ein Interessenvertreter, der aber in erster Linie die Jungen vertritt. Denn all die Kürzungen im System, die da gefordert werden, betreffen ja nicht die Alten, sondern die Jungen.

STANDARD: Sie sind aber auch in der SPÖ ein wichtiger Mann. Ihre Partei verliert eine Wahl nach der anderen. Woran krankt es?

Blecha: Dass die großen Parteien schrumpfen, ist kein rein österreichisches Phänomen. Populistische Bewegungen haben Zulauf, weil die großen Umwälzungen – vom Klimawandel bis zum Wandel in der Produktion – Zukunftsängste schüren. Eine Regierung muss da klare Handlungen setzen – und in der Flüchtlingsfrage ist das SPÖ und ÖVP meines Erachtens nun gelungen: Wenn Europa versagt und nicht in der Lage ist, lächerliche 160.000 Flüchtlinge auf 28 Mitgliedsländer zu verteilen, sind die beschlossenen Restriktionen vertretbar. Nur kann es die Regierung nicht so darstellen, dass es die Leute merken. Da gibt es ein Kommunikationsproblem.

STANDARD: Und die SPÖ ...

Blecha: ... muss im neuen Parteiprogramm klare Antworten auf die Herausforderungen geben. Die Leute wollen wissen, was sie erwartet. Bringt uns der Klimawandel um? Ist es wahr, dass dann die Schwarzen aus Afrika zu uns kommen? Diesen Ängsten muss sich eine Partei stellen.

STANDARD: Sie wollten eine Diskussion, die das ganze Land erfasst. Ich fühle mich bisher aber nicht sehr erfasst – und vielen SPÖ-Mitgliedern geht es ähnlich.

Blecha: Der Prozess fand bisher nicht öffentlich statt, was ich für einen Fehler halte, aber dafür hat sich die Partei eben entschieden. Momentan fügen wir die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zu einem Erstentwurf zusammen, der dann gerne zerrissen werden kann; ich will geradezu provozieren und auf ein Podium auch einmal einen Advocatus Diaboli setzen, damit es spannend wird. Im März soll die Diskussionswelle öffentlich losrollen.

STANDARD: Spüren Sie in der SPÖ denn Aufbruchsstimmung?

Blecha: In der Wiener SPÖ wurde viel diskutiert, in anderen Ländern weniger. Dabei haben wir dutzende Moderatoren für Diskussionen ausgebildet und den Parteiorganisationen angeboten – doch die Nachfrage war sehr bescheiden. Die Passivität in der SPÖ hat mich schon erschreckt: Man raunzt und nörgelt, fasst aber nicht den Mut, etwas selber zu tun. Die revolutionären Aufmüpfigen drängen sich mir viel zu wenig auf. (Gerald John, 25.2.2016)