Herzlich willkommen oder Tschüss und auf Wiedersehen?

Christian Jobst

Die SPÖ, so scheint es, weiß nicht recht, wohin sie sich in der Flüchtlingsfrage wenden soll. Den Grünen geht es genauso. Diese Gleichzeitigkeit ist kein Zufall.

Es geht um die wohl größte und am schwersten zu beantwortende Frage für eine politische Partei: Wie können Anständigkeit und Menschlichkeit bewahrt werden, wenn die Zeichen der Zeit auf Unanständigkeit und Unmenschlichkeit stehen? Wie kann man, ohne seine Seele zu verkaufen, Wahlen gewinnen? Letzteres ist wohl immer eine Frage, bei diesem Thema ist sie es aber ganz besonders.

Zu Beginn der großen Flüchtlingsbewegung im Spätsommer 2015 verhielten sich (fast) alle noch untadelig. Der grausige Fund von 71 in einem Lkw erstickten Flüchtlingen ließ einen Ruck durch Österreich gehen, der auch die Politik nicht unberührt ließ. Die Grenzen wurden geöffnet, die "Willkommens"- (und Durchschleuse-)Kultur hielt Einzug, das hartherzig agierende Ungarn galt als Buhmann des aufgeklärten Kontinents.

Bemüht und gescheitert

Man muss dem SPÖ-Chef und Kanzler Werner Faymann zugute halten, dass er sich bemühte, diesen Kurs auch über lange, schwierige Monate durchzustehen. Man muss ihm anrechnen, dass er sich für eine "europäische Lösung", eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge starkmachte, dass er versuchte, in Angela Merkels Schlepptau das menschlich Richtige und politisch Vernünftige zu tun. Ein halbes Jahr später muss man sagen: All das ist misslungen.

Nicht nur, dass die Europäische Union immer stärker in ein Europa der nationalen Partikularinteressen zerfällt, wo sich jeder selbst der Nächste ist; nicht nur, dass auch Deutschland tief gespalten ist; nicht nur, dass sich in der ÖVP immer stärker der Law-and-Order-Flügel durchsetzt und die Volkspartei gerne Opposition in der Regierung spielt.

Hinein ins Desaster

Faymanns Problem ist auch die eigene Partei, an der zwei Kräfte zerren: die rot-grün-antifaschistisch-progressive und die rot-blaue "Kleiner Mann"-Kraft. Beide zu vereinen, gar zu bündeln, wird immer schwieriger.

Hätte Faymann in dieser schwierigen Situation staatsmännisches Format bewahrt, wäre Österreich nicht in jenes diplomatische und außenpolitische Desaster geschlittert, in dem es gerade feststeckt. Getrieben von der ÖVP und vom Zeitungsboulevard ist man in Windeseile bei der Grenzen-zu-Politik gelandet. Das wird die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zum Nachdenken anregen, wie sehr man sich auf einen Bündnispartner Österreich überhaupt verlassen kann, wenn dessen Kanzler tatenlos dabei zusieht, wie sein Koalitionspartner CSU-Chef Horst Seehofer nacheifert.

Faymann lässt die ÖVP-Minister Sebastian Kurz und Johanna Mikl-Leitner einfach gewähren, etwa bei dem sich anbahnenden außenpolitischen Desaster der eigenmächtig einberufenen "Westbalkan-Konferenz". Das wohl auch deshalb, weil er Angst vor den Burgenländern in der SPÖ hat, die immer unverblümter gegen "die Wiener" sticheln, die eine konträre Position vertreten.

"Wiener Debatte"

Gegen Wien sticheln derzeit auch Teile der Grünen, die in Maria Vassilakous Rückzug von der Parteispitze und Peter Pilz' öffentlichem Appell für eine Kurskorrektur in Sachen Flüchtlinge eine reine "Wiener Debatte" sehen. Das ist sie mitnichten.

Die Grünen, in einigen Bundesländern in Regierungsverantwortung, sehen nur plötzlich relativ nüchtern die Mühen des Politalltags. Sie müssen auf regionaler und kommunaler Ebene vollziehen, was "im Bund" jeweils ausgeheckt wird.

Sie sind mit Bürgermeistern konfrontiert, die sich im Namen ihrer Dorfbewohner mit Händen und Füßen gegen Flüchtlingsquartiere wehren; sie kämpfen mit einer Bürokratie, die schnelle und effiziente Hilfe oft gar nicht zulässt; sie müssen enttäuschte Freiwillige beschwichtigen, die schon seit langem niemand mehr lobt, und die auch nicht wissen, wie es weitergehen soll – und sie erleben Flüchtlinge, denen es an so vielem mangelt, dass sich auch die Wohlmeinendsten fragen müssen, wie rasche Integration hier gelingen soll.

Warum nicht streiten?

Ärgerlich an all dem ist, dass nach außen hin so getan wird, als gäbe es diese Befindlichkeiten nicht, als seien sie Erfindungen von Journalisten. Als ob es eine Schande wäre, sich über die großen politischen Fragen nicht einig zu sein. Warum sollte denn nicht gestritten werden? Wie will man sonst am Ende zu einer gemeinsamen, tragbaren Lösung kommen, an der sich Menschen orientieren können?

Wundern muss man sich vielmehr darüber, dass sich nicht auch ÖVP und Neos intern an der Flüchtlingsfrage abarbeiten. (Petra Stuiber, 24.2.2016)