In der Lorenz-Villa trafen einander Intellektuelle zu interdisziplinären Gesprächsrunden. Im Bild: Konrad Lorenz (mit Kopfhörern), Gerd Müller (Mitte) und Rupert Riedl.

Foto: KLI

Ein Platz zum Denken: Das Konrad-Lorenz-Institut ist in ein modern adaptiertes Schloss nach Klosterneuburg gezogen.

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Johannes Jäger: "Das Institut ist ein Ort, wo Fellows für eine bestimmte Zeit Pause vom akademischen Alltag machen können."

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Wien – Es waren schon die späten 1970er-Jahre, als der österreichische Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz in seiner Villa in Altenberg mit dem Meeresbiologen Rupert Riedl Gesprächsrunden veranstaltete. Mit dabei war Gerd Müller, heute theoretischer Biologe an der Uni Wien und Vorstandspräsident des Konrad-Lorenz-Instituts für Evolutions- und Kognitionsforschung (KLI). Man diskutierte buchstäblich über Gott und die Welt. Es wurden Weltanschauungen ausgetauscht. Lorenz entwickelte seine evolutionäre Erkenntnistheorie. Er hielt tierisches Verhalten für vorbestimmt durch Gene, Riedl war der Ansicht, dass man die Evolutionsbiologie auch anwenden könnte, um Erklärungen für gesellschaftliche Entwicklungen zu finden. Viele dieser Ideen gelten heute als überholt, die Diskussionen waren aber Anlass für eine Institutsgründung.

Riedl hob 1990, ein Jahr nach Lorenz' Tod, das KLI aus der Taufe, eine Denkwerkstatt für theoretische Fragen in der Biologie. Hier beschäftigt man sich mit der Frage, was das Leben denn eigentlich überhaupt ist. Die Basisfinanzierung erhält das Institut von einer Privatstiftung, die vollständig unabhängig ist von der Familie Lorenz. Doktoranden und Postdocs sind eingeladen, sich um ein Fellowship zu bewerben.

STANDARD: Die Uni Salzburg hat Konrad Lorenz im Dezember 2015 posthum ein Doktorat aberkannt. Stand der Name Ihres Instituts jemals zur Debatte?

Johannes Jäger: Nein. Der Name Konrad Lorenz reflektiert ja die Geschichte des Instituts. Eine Namensänderung würde in diesem Fall sicher nicht zur Vergangenheitsbewältigung beitragen, an der das Institut maßgeblich beteiligt war. Unsere Archive wurden intensiv genutzt für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit von Lorenz.

STANDARD: Die Uni argumentierte, Lorenz habe "die aktive Mitgestaltung oder Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie" verschwiegen. Hat man in Salzburg richtig oder falsch gehandelt?

Jäger: Es ist nicht an uns, die Entscheidungen anderer akademischer Institutionen zu kommentieren. Konrad Lorenz war durchaus widersprüchlich. Er hat die Theorie vertreten, dass Menschen, wenn es ihnen zu gut geht, genetisch und moralisch degenerieren. Er hat da aus dem, was er für wissenschaftliche Gründe hielt, einen moralischen Verfall angeprangert. Das war nicht rassistisch im eigentlichen Sinn. Andererseits sprach er aber auch von der Aussonderung kranken Erbmaterials zur Erhaltung der Zivilisation. Das ist Eugenik, wie sie zwar gang und gäbe war in den Dreißigerjahren, aber auch im Nationalsozialismus praktiziert wurde. Lorenz war wohl eher ein Opportunist. Er war aber auch ein in seiner Zeit hervorragender Wissenschafter und Denker.

STANDARD: Haben diese Ideen von Lorenz heute noch Geltung?

Jäger: Er hat einzelnen Genen eine zu starke Wirkung zugeschrieben. Man weiß mittlerweile, dass Gene mit anderen Genen und mit der Umwelt interagieren und nur so Verhaltensmuster entstehen können. Das sind komplexe Netzwerke, über die wir noch recht wenig wissen. Wir wissen über einzelne Gene Bescheid, aber noch fast nichts darüber, wie sie einander ein- oder ausschalten während der Entwicklung des Organismus. Das Problem ist, dass man, wenn mehr als zwei bis drei Faktoren auf komplexe Art und Weise zusammenwirken, nichts mehr vorhersagen kann. Das KLI beschäftigt sich mit solchen Fragestellungen.

STANDARD: Aber es gibt monogenetische Erkrankungen?

Jäger: Eines der seltenen Beispiele ist der Veitstanz, also Chorea Huntington. Verstärkte Muskelbewegungen sind hier erste Krankheitssymptome. Wenn man einen Defekt eines bestimmten Gens entdeckt, kann man vorhersagen, dass diese Krankheit sicher ab dem 60. Geburtstag auftritt. Bei Phänotypen, wo mehrere Gene und die Umwelt einen Einfluss haben, ist dies nicht mehr so einfach.

STANDARD: Sie selbst haben in den vergangenen Jahren evolutionsbiologische Entwicklungen von Fliegen im Labor studiert. Sie sind seit einem halben Jahr wissenschaftlicher Leiter des Konrad-Lorenz-Instituts und arbeiten daher ausschließlich theoretisch. Ist das nicht ein harter Schnitt in ihrer Biografie?

Jäger: Die Jahre im Labor waren sehr spannend, haben aber auch viel Energie gekostet. Es war nämlich auch eine von Unsicherheiten geprägte Zeit, obwohl das Centre for Genomic Regulation (CRG) in Barcelona, meine letzte Arbeitsstätte vor dem Wechsel nach Österreich, eine recht solide Finanzierung hatte. Die Unsicherheiten entstanden durch die Projektfinanzierung und die Karriereentwicklung, die man an diesem Institut genauso wie an der Max-Planck-Gesellschaft und anderen renommierten wissenschaftlichen Institutionen verfolgt. Nach dem Postdoc gibt es eine Fünf-Jahres-Befristung für die Gruppenleiter. Da herrscht enormer Erfolgszwang, die Leute müssen so viel wie möglich publizieren und kommen aus dem Antragschreiben kaum mehr heraus. Das macht viele Wissenschafter kaputt.

STANDARD: Wünschen Sie sich die alten Zeiten wieder zurück?

Jäger: Nein. Die früher übliche Gangart, mit genügend Sitzfleisch und Beziehungen zu einer Fixanstellung zu kommen, hat nichts in einem modernen Wissenschaftsbetrieb verloren. Aber es müsste auch einen Mittelweg zwischen diesen Extremen geben, um den Produktionswahn in der Wissenschaft auf ein normales Level zu bringen. Ich sehe das KLI als einen Ort, wo Fellows für eine bestimmte Zeit Pause machen können von diesem akademischen Alltag und finanziert werden, um ungestört neue Ideen für wissenschaftliches Arbeiten zu haben. Die einzige Vorgabe: Es muss sich um theoretische Fragen in der Biologie handeln. Und wir müssen keine externen Projektfinanzierungen beantragen. Das ist ein Luxus. (Peter Illetschko, 26.2.2016)