Das Team Neri & Hu gestaltete die an eine Trockenhaube erinnernde "Emperor floor lamp" (Moooi).

Foto: Hersteller
Foto: Thonet
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Was der Mode der Schnürlsamt, ist den Möbeln das Rattan. Wie die Cordhose kommt das Material in Wellen. Das Image, das man Rattan verpasste, reicht dabei von schrullig über 80er-Jahre-Öko bis hin zu bieder. Daniel Craig setzt sich bestimmt nicht in einen Rattansessel. Nun kehrt das Material zurück in die Stuben und lässt wieder dieses typische Knarzgeräusch hören, das Rattanmöbel von sich geben, sobald man seinen Hintern darauf setzt.

Das Revival hat gute Gründe: Bei kaum einem Möbelwerkstoff treffen so viele positive Eigenschaften zusammen wie bei diesem. Rattan ist ein rasch wachsender Rohstoff, der sich durch Widerstandsfähigkeit auszeichnet und auch durch seine Leichtigkeit besticht. Der Umstand, dass das elastische, stabile Material simpel zu verarbeiten ist, reizte in vielen Epochen nicht nur Handwerker, sondern auch Designer.

Eleganter Swing

Es ist also kaum verwunderlich, dass in Zeiten, da der Einsatz und die Herkunft von Materialien verstärkt hinterfragt werden und die Kundschaft vermehrt nach natürlichen Materialien schielt, Rattan wiederentdeckt wird. Hinzu kommt, dass sich eine jüngere Designgeneration, frei von Image-Verunglimpfungen, dem Rattan zuwendet.

Wiktoria Szawiel entwarf den "Rattan Stool".
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Der Spanier Jaime Hayon, bekannt für frivole Ausdrucksformen, designte zum Beispiel den Rattanarmlehnstuhl "Frames", dem er, dem Material sei Dank, einen eleganten Swing verlieh. Die aus Polen stammende Designerin und Eindhoven-Absolventin Wiktoria Szawiel geht einen Schritt weiter. Sie gießt feines Rattanflechtwerk in Harz, schleift dieses fein säuberlich und kreiert auf diese Weise ihre Schalen, Stühle und Hocker. Auch nicht ohne ist ihr "Rattan Stool", der aussieht wie ein ziemlich großer und grober Rasierpinsel.

Es geht aber auch historischer: Jüngst bei Cassina aufgelegt wurde der runde Beistelltisch "Rio", den die große Charlotte Perriand 1962 entwarf. Sika Design nahm Arne Jacobsens aus Rattan gefertigten, stilvoll geschwungenen "Paris Chair" wieder ins Programm, und der Rattansessel "E 10", ein Entwurf von Egon Eiermann aus dem Jahre 1949, erfreut sich ebenso großer Beliebtheit.

Viel Rattan für die Stube: Beistelltisch "Rio" stammt aus der Feder von Charlotte Perriand (Cassina).
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Schmarotzer

Doch was genau ist das Zeug eigentlich, das diesen freundlich-leichten Charme mit einem Tick Kolonialästhetik versprüht und sich so mannigfaltig verarbeiten lässt? Rattan wird aus verschiedenen Arten der ostasiatischen Rotangpalme und ihren über 100 Meter langen Lianen hergestellt. Die Stränge aus dem Stamm der Palme, die sich schmarotzend mithilfe von anderen Bäumen durch die Tropenwälder schlingelt, werden nach der Ernte gereinigt, gespalten, gekürzt und getrocknet. Dicke Stängel (Rattan ist im Gegensatz zu Bambus nicht hohl) werden zu Spazierstöcken, Pfeil und Bogen oder Möbelgestellen verarbeitet, die Fasern der Oberfläche werden als robustes Flechtwerk, etwa für Sitzgeflechte, verwendet.

Der Marcel-Breuer-Freischwinger von Thonet.
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Apropos: Bei Thonet kommt das Material schon seit der Gründung der Firma in Form von Lehnen und Sitzflächen zum Tragen. Thonet-Geschäftsführer Thorsten Muck zählt den Wiener Kaffeehausstuhl von Michael Thonet und den Marcel-Breuer-Freischwinger mit ihrem "Wiener Geflecht" aus Rattan zu den meistverkauften Produkten des Unternehmens. "Für mich ist das Besondere an Rattan, dass man dem Material auf den ersten Blick ansieht, dass es ein Naturmaterial ist. Es ist selten perfekt, und das passt so. Weiters stellt Rattan eine natürliche Art dar, gepolstert zu sitzen. Dabei wirkt es nie so massiv wie ein gepolsterter Stuhl", lobt Muck die Vorzüge des Materials.

Die steigende Nachfrage begründet er mit dem wachsenden Bedürfnis vieler Menschen, zu erfahren, woher das Material kommt und wie es verarbeitet wird. "Kunden werden diesbezüglich selbstreflektierter."

Egon Eiermann gestaltete den
Lampert-Sessel "E 10".
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Fremdkörper

Eine andere Erklärung für die Rattanvermehrung in Wohnräumen hat der Kunsthistoriker und langjährige Leiter der Möbelsammlung des Wiener Mak, Christian Witt-Dörring: "Rattanmöbel waren ursprünglich für den Outdoor-Bereich gedacht, ehe sie um 1900 auch im Wohnraum auftauchten. Adolf Loos wurde dafür kritisiert, da dies gegen das gewohnte Repräsentationsverständnis verstieß. Rattanmöbel hatten ein billiges Image. Zurzeit herrscht eine Stimmung, in der man Dinge verfremdet, um aus dem Gewohnten auszubrechen. Ein Rattanmöbel ist so eine Möglichkeit. Das Material trägt eine Art Befreiungselement in sich, im Sinne davon, dass es einen Fremdkörper in der gewohnten Umgebung darstellt."

Ob es der Charme des Fremdkörpers oder die Wiedersehensfreude mit einem zu Unrecht verbannten Möbelmaterial ist, es spricht einiges dafür, Rattan wieder Einlass zu gewähren: Das Auge darf sich an neuen oder wiederaufgelegten Entwürfen erfreuen, die Möbel lassen sich kinderleicht verstellen, und Mutter Erde tut man auch noch einen Gefallen.

Wird Rattan nachhaltig und gewissenhaft abgebaut, kann dies helfen, den tropischen Regenwald zu erhalten. Um diese Abbauweisen zu fördern, startete der WWF bereits 2011 ein Programm, das von der EU und von Ikea finanziert wird. Es gibt aber noch einen guten Grund fürs gute alte Rattan. Man spart sich den Kratzbaum für die Katze. (Michael Hausenblas, RONDO, 01.3.2016)

Jamie Hayon widmete sich Rattan in Form seines "Frames" (Expormim).
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