Hinter den Kulissen geht es bei den Grünen nicht so einträchtig zu wie zwischen Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou und Parteichefin Eva Glawischnig vor der Kamera: Manche Funktionäre hinterfragen den Kurs in der Flüchtlings- und Integrationspolitik.

Foto: Heribert Corn

Wien – "Wir müssen berechtigte Ängste der Menschen in der Flüchtlingskrise ernst nehmen – und ich glaube nicht, dass wir Grüne das bisher ausreichend getan haben": Peter Pilz geht angesichts des anhaltenden Andrangs von Asylwerbern nicht nur mit den Maßnahmen der Regierung hart ins Gericht, sondern auch mit der eigenen Partei.

Wie berichtet, fordert intern eine Gruppe von Funktionären von der grünen Führung ein, die eigenen Positionen zu überdenken. Schon im Herbst hatte Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou eine Diskussion über die begrenzten Aufnahmekapazitäten Österreichs angestrengt, wurde von der grünen Zentrale aber harsch zurechtgewiesen. Seit Vassilakou am Freitag als stellvertretende Parteichefin zurückgetreten ist, kocht die Debatte erneut hoch.

Kulturelle Probleme

Pilz erklärt das Kernproblem so: "Viele von uns wollen über unseren Kurs in der Flüchtlingsfrage offen diskutieren – und wir lassen uns das auch nicht verbieten."

Wer als Flüchtling nach Österreich komme, müsse "sicher sein, auch vor dem Mob der FPÖ", sagt der Langzeitmandatar, plädiert aber gleichzeitig dafür, die grünen Konzepte in einigen sensiblen Fragen zu ändern: "Deutschland, Schweden und wir können nicht alle aufnehmen. Wenn Tschechien, Polen, Ungarn und die Slowakei uns im Stich lassen, dann nehmen wir das Geld, das wir ihnen bisher geschenkt haben, und investieren es in Integration bei uns." Auch was ebendiese Integrationsarbeit betrifft, nimmt sich Pilz kein Blatt vor den Mund: "Es wird schwierig. Das Ganze ist weniger ein ökonomisches als ein kulturelles Problem."

Fragwürdige Vereine

Muslimische Vereine, die von fragwürdigen Regimen wie jenen von Saudi-Arabien oder von der Türkei mitfinanziert werden, will der Grüne daher "nicht mehr als Partner – weil ihr Ziel möglichst wenig Integration ist".

Wie Vorarlbergs Landesrat Johannes Rauch und dem Abgeordneten Bruno Rossmann bereitet auch Pilz die hohe Arbeitslosigkeit Sorgen: "Wir müssen genau prüfen, ob wir den Arbeitsmarkt für alle offenhalten können, wenn etwa in der Obersteiermark immer mehr Arbeitsplätze gefährdet sind. Aber niemand soll glauben, dass wir Arbeitsplätze nur mit Stacheldraht sichern können."

Blinder Fleck

Drücken sich die Grünen also davor, heikle Integrationsthemen anzusprechen? In der internen Debatte nicht, sagt der Europa-Abgeordnete Michel Reimon: "Aber in der medialen Darstellung gibt es einen blinden Fleck." Beispiel: Zweifellos gebe es ein Problem mit einem strengen Islamverständnis, das allen grünen Grundwerten widerspreche – "doch bis heute ist es keinem Grünen gelungen, diese Debatte ernsthaft zu führen."

Reimon führt diesen Umstand auf die schwierigen Umstände zurück, sprich: die "aufgeheizte Stimmung", die eine sachliche Diskussion unmöglich mache. Jeder Grüne, der sich diesbezüglich hinauslehne, gerate rasch in den Geruch des Rechtsauslegers und laufe Gefahr, von den Freiheitlichen vereinnahmt zu werden – die Medien böten für eine differenzierte Argumentation wenig Raum: "Wir Grüne sind deshalb extrem vorsichtig geworden."

"Kein Richtungsstreit"

Ob dazu nicht auch die Parteispitze beitrage, indem sie den eigenen Reihen Ruhe verordne? Reimon lässt sich keine Kritik entlocken und sagt: "Einen Richtungsstreit bei den Grünen sehe ich hinten und vorne nicht."

Einen solchen kann auch Bildungssprecher Harald Walser nicht erkennen: "Wir stehen alle zu hundert Prozent hinter den Menschenrechten." Probleme gehörten "deutlich angesprochen", sagt er, "aber den großen Änderungsbedarf sehe ich bei der grünen Linie nicht." (Gerald John, Nina Weißensteiner, 22.2.2016)