Vorreiterin fürs neue Arbeitsrecht: Ministerin El Khomri.

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Endlich hat er es geschafft. François Hollande sieht sich mit Gerhard Schröder verglichen. Seit seinem Amtsantritt 2012 galt der französische Präsident als Zauderer, der nur lauwarme Reförmchen zustande brachte; auch die sehr vorsichtig geplante Revision des französischen Arbeitsrechts schob er immer wieder auf die lange Bank. Jetzt legt er aber durch seine Arbeitsministerin Myriam El Khomri ein Projekt vor, das für französische Verhältnisse geradezu revolutionär ist – und sowohl die Gewerkschaften als auch die politische Rechte überrumpelt. "Der Präsident ist zur Transgression bereit, so wie es der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder uns 2005 vorgemacht hatte", kommentiert Le Figaro. Und Gewerkschaftschef Jean-Claude Mailly droht: "Es wird Sport geben." Will sagen: Die Debatte wird nicht nur mit Worten ausgetragen werden.

Einbruch in Tabuzonen

Mit dem Gesetzesprojekt bricht die Pariser Linksregierung in gleich drei bisherige Tabuzonen der Linken ein. Die 35-Stunden-Woche, die der sozialistische Premier Lionel Jospin 1999 eingeführt hatte, soll faktisch ausgehebelt werden: Während 16 Wochen im Jahr könnte die Arbeitszeit bis zu 46 Stunden betragen; "unter außerordentlichen Umständen" könnte sie sogar bis auf 60 Stunden erhöht werden. Und die Unternehmen wären frei, die Lohnhöhe dieser Überstunden – über einem gesetzlichen Mehrverdienst von zehn Prozent – selber festzulegen.

Auch das Kündigungsrecht würde in dem "El-Khomri-Gesetz" stark aufgeweicht, was für Frankreich ein absolutes Novum wäre: Eine Entlassung soll schon zulässig sein, wenn der Umsatz, das Auftragsvolumen oder – nicht: und – der Betriebsgewinn "während mehrerer Monate" sinkt. Die in Frankreich vergleichsweise hohe Entschädigung für einen aufgelösten Arbeitsvertrag wird auf gestaffelte Weise plafoniert.

Abstimmungen in den Firmen

Der dritte Kernpunkt der Gesetzesvorlage ist die Möglichkeit von Abstimmungen in den Firmen. Heute können die Gewerkschaften, die mindestens 30 Prozent der Betriebsratsstimmen vertreten, Lohn- oder Arbeitszeit-Abkommen zwischen der Direktion und der Belegschaft verhindern. Die Neuerung würde den Einfluss der Gewerkschaften empfindlich beschneiden.

Das hatte sich kürzlich in der Smart-Werkstätte in Hambach (Lothringen) gezeigt, wo die Gewerkschaften das Veto gegen eine Übereinkunft zur Einführung der 39-Stunden-Woche einlegten. Der zum Daimler-Konzern gehörige Autohersteller setzte sich nur durch, indem er die Arbeitszeitverlängerung (bei halber Lohnerhöhung) individuell regelte – ein Vorgehen, das von über 95 Prozent der 800 Angestellten angenommen wurde.

Die Hollande-Regierung will das neue Gesetz am 9. März offiziell vorstellen und es noch vor dem Sommer durch das Parlament bringen. Indem sie es via Pariser Medien publik machte, sucht sie zweifellos die Reaktionen der Sozialpartner zu testen. Und die lassen in ihrer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Der Unternehmerverband Medef spricht durch seinen Chef Pierre Gattaz von einem "Schritt in die richtige Richtung", der den Firmen die "Angst vor dem Einstellen" nehme. Gérard Filoche, Sozialist und Arbeitsinspektor, twitterte dagegen: "60-Stunden-Woche und Zwölf-Stunden-Tag – eine thermonukleare Bombe gegen das Arbeitsrecht. Ein Jahrhundert an Rechten zerstört."

Protestaktionen angekündigt

Die wichtigste Landesgewerkschaft CGT meinte am Freitag, das von El Khomri erwähnte dänische Modell der "Flexisécurité" – mehr Flexibilität für die Firmen gegen mehr Sicherheit für die Arbeitnehmer – bewirke in Wirklichkeit "mehr Flexibilität und weniger Sicherheit". Auch andere Gewerkschaften versprechen massive Protestaktionen, falls die vorliegende Form des Gesetzes beibehalten wird.

Abstriche sind in der parlamentarischen Debatte zu erwarten. Hollande krebste am Freitag einen formalen Schritt zurück und korrigierte seine Ministerin, es gebe keine Pläne, das Gesetz über die Köpfe der Parlamentarier hinweg mit dem Notstandsartikel 49-3 der Verfassung in Kraft zu setzen. (Stefan Brändle aus Paris, 20.2.2016)