Bis zu 70.000 Gehirnerschütterungen hat ein Football-Spieler am Ende seiner Karriere erlebt.

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Will Smith (rechts) spielt Bennet Omalu (links) im Film "Erschütternde Wahrheit".

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Concussion (Erschütterung) ist der Originaltitel des Films. In den USA läuft er bereits seit Weihnachten.

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"Sie ziehen in den Krieg gegen ein Unternehmen, dem ein ganzer Wochentag gehört", heißt es im Film "Erschütternde Wahrheit". Besagtes Unternehmen ist die National Football League, die jeden Sonntag unzählige Amerikaner vor die TV-Geräte holt.

In den Krieg gegen die NFL zieht der Arzt Bennet Omalu, der 2005 erstmals die Sportlerkrankheit CTE mit dem amerikanischen Nationalsport Football in Verbindung brachte und sich bei der NFL damit keine Freunde machte. Omalus ganze Geschichte wurde nun – größtenteils der Wahrheit entsprechend – verfilmt. Will Smith mimt darin den in Nigeria geborenen Neuropathologen Omalu.

Die wahre Geschichte begann im Jahr 2002. Omalu stellte nach der Autopsie des ehemaligen Pittsburgh Steelers-Stars Mike Webster fest, dass nicht Krebs oder eine psychische Erkrankung den ehemaligen Football-Spieler in Scheidung, Klebstoff-Abhängigkeit und Obdachlosigkeit trieben, sondern eine Vielzahl an Gehirnerschütterungen – 70.000 nach Omalus Rechnung. Chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE) oder auch Boxersyndrom wird diese Krankheit genannt. Anders als im Film dargestellt, hat Omalu CTE aber nicht entdeckt, sondern nur erstmals im Gehirn eines Football-Spielers sichtbar gemacht.

NFL stellt sich quer

Nach Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse 2005 im Journal "Neurosurgery" hoffte Omalu auf ein Umdenken bei der NFL, doch diese stellte sich ihm in den Weg. Drei Vertreter schrieben an den Herausgeber des Journals, vermuteten "schwere Mängel" in Omalus Studie und verlangte einen offiziellen Rückruf der Veröffentlichung.

Doch Omalu ließ sich nicht einschüchtern. Er sezierte Gehirne weiterer Football-Spieler, kam zu ähnlichen Ergebnissen und veröffentlichte sie. Bald unterstützten ihn einflussreiche Verbündete wie Julian Bailes, Neurochirurg an der West Virginia Universitätsklinik und ehemaliger Arzt der Pittsburgh Steelers.

Der Wendepunkt kam 2009 mit einem Artikel der Journalistin Jeanne Marie Laskas im Magazin GQ, der detailliert über Omalus Entdeckung berichtete und die Verleugnung der NFL anprangerte. Der Film "Erschütternde Wahrheit" beruht auf Laskas Artikel. Kurz nach Erscheinen ihres Berichts veröffentlichte die NFL erstmals Ergebnisse einer anderen Studie, die ebenfalls zeigte, dass Gehirne frühere Football-Spieler vermehrt Gedächtnisschäden aufweisen. 2009 wurden strengere Auflagen eingeführt, um Kopfverletzungen im Profi-Football zu verringern.

Funktionsstörung des Gehirns

CTE ist eine Funktionsstörung, die nach häufigen Kopfverletzungen auftritt. "Bei jedem Sturz wird der Kopf wie ein Ball zusammengedrückt und wieder auseinandergezogen, auch das Gehirn wird mit Druck nach vorne und hinten gepresst. Dadurch entstehen viele kleine Traumata", sagt Neurologe Nikolaus Steinhoff. Betroffene Sportler hätten dadurch schon mit 30 Jahren, was normalerweise erst im hohen Alter auftritt: viele kleine Schäden im Gehirn. "Durch diese Verletzungen werden Hirnzentren oder Verbindungen dazwischen beschädigt. Mögliche Folgen können sein, dass Betroffene sich nicht mehr konzentrieren können, langsamer oder durch psychische Belastungen depressiv werden", sagt Steinhoff.

"Neben Boxern und Football-Spielern können auch Fußballer, vor allem durch Kopfbälle oder Rugby-Spieler Schäden davontragen, die später zu CTE führen", so Steinhoff. In einem Interview mit der New York Times verlangte Neuropathologe Omalu, dass es Kindern unter 18 Jahren verboten werden sollte, Football zu spielen.

Aber müssen sich Eltern von sportbegeisterten Kindern nun Sorgen machen? "Es ist leider so, dass bei Sportarten wie Fußball, Football oder Rugby Hirnschäden die Folge sein können", sagt Steinhoff. Schon häufig seien besorgte Eltern mit ihren Kinder zu ihm gekommen, weil sie nach einer Gehirnerschütterung eine Verlangsamung bei ihren Kindern beobachtet hatten.

Football-Spieler, die besonders waghalsig und aggressiv spielen, werden von den Fans allerdings besonders geliebt. In der Vergangenheit haben NFL-Spieler es auch mit Aggressivität abseits des Spielfeldes in die Schlagzeilen geschafft. Ein Video, auf dem Profi-Football-Spieler Ray Rice seine Freundin bewusstlos schlug und wie ein Stück Fleisch aus einem Aufzug zerrte, ging vor zwei Jahren um die Welt.

Vergröberung der Persönlichkeit

Sind nun die vielen Gehirnerschütterungen auch der Grund für die private Brutalität der Spieler? Laut Steinhoff kommt es immer auf die Persönlichkeit eines Spielers an, Hirnschäden wirken sich aber in jedem Fall aus: "Verletzungen im unteren Teil des Gehirns verändern das soziale Verhalten und die soziale Kompetenz. Es kommt zu einer Vergröberung der Persönlichkeit, Betroffene haben weniger Mitgefühl für andere und verlieren den Antrieb, sich selbst zu kontrollieren". Soziale Isoliereung, Depressionen und Drogensucht können – wie auch bei den von Bennet Omalu untersuchten Football-Spielern – die Folge sein.

In den Umkleidekabinen der Football-Stadien ist CTE weiterhin kaum Thema. 65 Prozent der Spieler verheimlichen die Symptome einer Gehirnerschütterung, um weiterspielen zu können, besagt eine Umfrage des Magazins "The Sporting News" aus dem Jahr 2012. "Wenn ich nicht spiele, fühlt es sich so an, als würde ich mein Team im Stich lassen", wird einer der teilnehmenden Spieler zitiert.

In der öffentlichen Debatte werden die gesundheitlichen Gefahren der Nationalsportart Football hingegen immer häufiger diskutiert. Vergangenes Jahr beendete das NFL-Talent Chris Borland seine Karriere frühzeitig, weil er sich den möglichen Schäden am Gehirn nicht aussetzten wollte. Zudem stellen immer mehr Football-Spieler ihr Gehirn nach ihrem Tod der CTE-Forschung zur Verfügung.

Obwohl die Football-Euphorie mit 111,9 Millionen Super-Bowl-Zusehern alleine in den USA auch in diesem Jahr nicht gebrochen scheint, prophezeien Pessimisten immer wieder ein Ende des amerikanischen Nationalsports. Auch Präsident Obama hat seine Bedenken zur Sicherheit der Sportler schon vor drei Jahren gegenüber dem Politikmagazin "The New Republic" geäußert: "Ich bin ein großer Football-Fan, aber wenn ich einen Sohn hätte, müsste ich lange und fest darüber nachdenken, ob ich ihn Football spielen lasse". (Bernadette Redl, 23.2.2016)