Unterdrücktes Begehren und offensichtliche Verzweiflung in kunstvoll ausgeblichenen Farben: "United States of Love" von Tomasz Wasilewski.


Foto: Oleg Mutu

Ist "Slow Cinema" die genussintensivere Form von Kino? Die filmische Entsprechung zum "Slow Food" lehnt der philippinische Filmemacher Lav Diaz als Etikett für sein Kino ab. Es gäbe nur das Kino an sich, und dieses verfüge eben über vielfältigere Formen als jene, die als industrielle Norm gilt. Statt der üblichen Tagesration von drei bis vier Filmen sahen die ausdauerndsten Filmkritiker deshalb am Donnerstag nur einen einzigen auf der Berlinale: A Lullaby to the Sorrowful Mystery, Lav Diaz' achtstündiges Epos über die Nachwehen der Revolution von 1896.

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Diaz interessiert sich grundsätzlich für keine heroisierende Erzählung. Der Umbruch hat bei ihm schon stattgefunden, ein Zersetzungsprozess beginnt, die Revolution frisst ihre Kinder. Die ersten vier Stunden der Vorführung war der Berlinale-Palast fast dunkel, denn Diaz erschafft eine unheilvolle Vergangenheit in Schwarz-Weiß-Nachtbildern, mit Nebelschwaden und starken Lichtkontrasten. Die spanischen Kolonisatoren, die das Land so lange in ihrer Gewalt hatten wie auch die nationalen Verräter, versuchen zu retten, was zu retten ist. Oder halluzinieren unter dem Einfluss von Opium.

Die Filme von Diaz – etwa From What Is Before, mit dem er vor zwei Jahren den Hauptpreis in Locarno gewann – sind Geschichtsreflexionen, die sich durch ihre Dauer den Vorteil verschaffen, Prozesse nachvollziehbar zu machen. In A Lullaby to the Sorrowful Mystery geht es jedoch nur noch um einen langen Abgesang, ein Verenden, und zwar ganz sprichwörtlich: Simoun, ein zwielichtiger Scharfmacher, blutet vier Stunden seinem Tod entgegen. Diaz forscht nach den Gründen, die das Nation-Building in den Philippinen immer wieder unterlaufen haben, diese fatale Mischung aus fehlendem Zusammenhalt, Opportunismus und Gewalt.

Kleine Verfehlungen

Der Umbruch bleibt auch in Tomasz Wasilewskis United States of Love ein leeres Versprechen. Es ist das Jahr 1989, und in der ersten Einstellung sitzen die meisten der Protagonistinnen des Films zu Weihnachten an einem Tisch. Die Erwartungen an die Zukunft sind eher verhalten, die Hoffnung, dass sich ökonomisch etwas bessert, steht zumindest im Raum.

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Schauplatz des Films ist ein Plattenbau in der polnischen Provinz, den Kameramann Oleg Mutu wie einen bleichen Kasten in seine Breitwandbilder rückt. In den kunstvoll ausgeblichenen Farben wirken die Lebensumstände, die Wasilewski mit konzentriertem Blick vermisst, noch ein wenig depressiver. United States of Love ist ein Film gris, in dem sich der Wandel im Privaten noch nicht bemerkbar macht. Der Blick ist auf vier Frauen gerichtet, auf ihr unterdrücktes oder unerwidertes Begehren, auf die stille, aber offensichtliche Verzweiflung.

Am Anfang ist man von der inszenatorischen Genauigkeit Wasilewskis ganz angetan. Er erzählt bildstark, ohne dabei die Empathie mit seinen Figuren zu verlieren. Die erkaltete Beziehung eines Paares macht er etwa mit sparsamen Mitteln deutlich: eine forsch abgewiesene Geste der Zärtlichkeit zwischen den Eltern, ein stummer Blick der Tochter. In allen vier Erzählstücken, die ein-ander lose berühren, lotet Wasilewski das Gefälle zwischen den Geschlechtern aus.

Doch je länger United States of Love seine szenischen Bausteine aneinanderreiht, desto mehr scheint auch der Defätismus durch. Schon in der zweiten Erzählung um eine Schuldirektorin, die von ihrem langjährigen Liebhaber versetzt wird, gibt sich Wasilewski nicht mehr mit den kleinen Verfehlungen des Alltags zufrieden, sondern sucht die große Geste. Trotz (oder gerade aufgrund) dieser Überzeichnungen könnte United States of Love am Samstag zu den Gewinnern der Berlinale gehören. (Dominik Kamalzadeh, 19.2.2016)