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Das Erstaufnahmelager Traiskirchen ist Ausgangspunkt für eine antisemitische Verschwörungstheorie.

Foto: Reuters/Bader

Von der Flüchtlingsbewegung nach Europa soll die jüdische Hochfinanz profitieren: Mit dieser "These" beschäftigten sich in den vergangenen Monaten fast alle einschlägigen "alternativen Medien", die sich als Gegenangebot zur "Lügenpresse" inszenieren. Zu nennen sind beispielsweise der Kopp-Verlag, "Compact", "Epoch Times" und die der FPÖ nahestehende Website unzensuriert.at, die das Thema sogar in einer Episode ihrer Youtube-Serie behandelt.

Antisemitismus weicht auf Codes aus

Der Name der jüdischen Bankiersfamilie ist seit Jahrhunderten eine Chiffre im antisemitischen Diskurs, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder verstärkt zum Einsatz kommt. "Die gesetzliche und gesellschaftliche Tabuisierung und Sanktionierung eines expliziten Antisemitismus führte nach 1945 zu neuen Kommunikationsformen", analysiert die Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel, die sich in ihrem Buch "Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert" umfassend mit antisemitischen Codes beschäftigt hat. Nun kämen in judenfeindlichen Äußerungen Paraphrasen wie "die Banker von der Ostküste" und "Finanzoligarchie" zum Einsatz, sagt die Forscherin: "Besonders häufig findet sich dabei der Name Rothschild."

Traiskirchen als Ausgangspunkt für Verschwörungstheorie

Doch wie kommen die selbsternannten "alternativen Medien" überhaupt auf die Idee, dass "die Rothschilds" – abgesehen davon, dass nicht näher erläutert wird, ob es sich dabei um ein spezifisches Unternehmen oder Familienmitglieder handelt – von Asylwerbern profitieren? Unzensuriert.at versucht sich in seiner Youtube-Sendung an einer Beweiskette: Ausgangspunkt ist die ORS Service GmbH, die in Österreich 27 Flüchtlingsheime betreut. Sie managt etwa das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen. Die Schweizer ORS-Mutter gehört wiederum einem Fonds namens Equistone Partners Europe, der einst zur britischen Barclays-Bank gehörte.

Dünne Indizienkette

Nun gerät unzensuriert.at in seiner Beweisführung auf dünnes Eis: Die Seite spricht davon, dass Equistone der Barclays-Bank und 30 Anlegern gehöre, wobei Barclays als "Schlachtschiff der Rothschilds" bezeichnet wird. Diese Behauptung ist jedoch völlig aus der Luft gegriffen. Der größte Barclays-Aktionär ist die Qatar Holding LLC mit etwas mehr als sechs Prozent Anteil. Darauf folgen eine Reihe anderer Beteiligungsunternehmen wie Capital Research & Management Co. und Legal & General mit 2,9 Prozent. Kurzum: Die Großbank Barclays hat keinen "klaren" Mehrheitseigentümer, sondern eine große Zahl an Aktionären. Die NM Rothschild selbst, die von unzensuriert.at als wichtiger Aktionär bezeichnet wird, taucht unter den zehn größten Barclays-Eignern nicht auf – kann aber natürlich wiederum Anteile an den Aktionären halten. Ebenso wenig hält Lazard Anteile, die von unzensuriert.at eine "Rothschild-Satellitenbank" genannt wird – auch für diese Bezeichnung gibt es keine Belege.

Schwiegersohn als "Beweis"

Unzensuriert.at will allerdings zwei weitere Beweise für den Einfluss der Rothschilds auf Barclays gefunden haben: So sitzt mit Reuben Jeffery III. ein Bankier im Aufsichtsrat, der auch dem International Advisory Committee der J Rothschild Capital Management angehört. Das ist angesichts der Verflechtungen in der Finanzbranche nicht weiter auffällig. Überraschend ist vielmehr, dass unzensuriert.at nur ein Barclays-Aufsichtsratsmitglied gefunden hat, das auch Rothschild-Unternehmen berät. Der zweite vermeintliche "Beweis" ist die Personalie Marcus Agius, der einst Vorsitzender von Barclays war. Agius ist der Schwiegersohn des Bankiers Edmond de Rothschild – und musste 2012 deutlich vor dem Höhepunkt Flüchtlingskrise zurücktreten.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die von der Erstaufnahmestelle Traiskirchen über Banken und Hedgefonds bis zu "den Rothschilds" aufgespannte "Beweiskette" enthält mehr als nur ein schwaches Glied. Das hält unzensuriert.at nicht davon ab, folgendes Fazit zu ziehen: "Die Asylbetreuungseinrichtungen in Österreich und der Schweiz unterstehen somit der ältesten und von vielen als mächtigsten bezeichneten Bankiersfamilie der Welt, den Rothschilds." Auf Anfrage des STANDARD gab unzensuriert.at bekannt, seine Recherchen nicht offenlegen zu wollen.

Antisemitismus mit Tradition

Das der FPÖ nahestehende Medienportal spricht weiter davon, dass "die Kritik der Linken" an den Zuständen in Traiskirchen mit der "Profitmaximierung" der angesprochenen Gruppen zu tun habe. Der Experte für Rechtsextremismus Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands sieht in dieser Äußerung die Agitation gegen zwei Feindbilder: "Rechtsextreme stoßen sich weniger an der Unterwerfung des Asylrechts unter eine Marktlogik und damit verbundenen Betreuungsmängeln als am Recht auf Asyl an sich. Dementsprechend geht es ihnen darum, das Asylwesen im Grundsatz zu delegitimieren und gleichzeitig mit dem Feindbild Asylwerber jenes des geldgierigen Juden sowie ihren Hang zu Verschwörungsfantasien zu bedienen."

Auch das hat Tradition: "Anfang des 20, Jahrhunderts werden die Geldgeschäfte der Familie sowohl von rechten, völkisch-nationalistischen Stimmen als auch von linken Bewegungen in kapitalismuskritischen Texten scharf angegriffen und dämonisiert", sagt die Forscherin Schwarz-Friesel. Zuletzt sorgte etwa der deutsche Popsänger Xavier Naidoo für Aufregung, als er in einem Lied vom "Baron Totschild" (sic!) sang.

Winter musste FPÖ verlassen

Die einstige FPÖ-Abgeordnete Susanne Winter beschäftigte sich auf ihrer Facebook-Seite auch immer wieder mit den Rothschilds. So hatte sie im April 2014 ein Bild publiziert, das insinuierte, Jacob Rothschild stehe hinter dem Verschwinden des Flugs MH 370. Denn Rothschild "erbt Patent nachdem 4 Mitgründer der Firma auf dem Flug MH 370 verschwunden sind", stand auf dem von Winter geposteten Bild geschrieben. Die jetzt freie Abgeordnete war wegen eines anderen antisemitischen Facebook-Postings aus der Partei ausgeschlossen worden. Ein Nutzer hatte auf Winters Seite gepostet, dass "die zionistischen Geld-Juden" Europa durch die Flüchtlingsbewegung "ausschalten" wollten. Winter schrieb darunter: "... schön, dass Sie mir die Worte aus dem Mund nehmen". Sie will künftig beim Österreichableger des alternativen Medienportals "Compact" mitarbeiten. (Fabian Schmid, 21.2.2016)