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Hendel in den 1970er-Jahren in seiner Paraderolle: als Graf Peter Porno von Gailsberg mit einer der "Töchter"- Darstellerinnen. Während frühere Kollegen und Konkurrenten über diese Zeit gerne schweigen, ist Hendel stolz darauf.

Foto: Walter Potganski, moviemax GmbH

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Günter Hendel, Ex-Sexfilmgröße, mit Enkelin Zina Laus, die Schauspielerin werden will.

Foto: Lukas Kapeller

Die besten Geschichten schreibe das Leben, heißt es. Aber die verrücktesten Geschichten haben wohl die deutschen Sexfilmer der 1970er-Jahre geschrieben. Zum Beispiel "Graf Porno und die liebesdurstigen Töchter". Da kommt ein alter Graf in finanzielle Nöte und setzt seinen Sohn Peter auf die sechs Töchter einer Millionärswitwe an. "Du bist der letzte Graf Porno von Gailsberg", ruft der betagte Aristokrat, "also, mein Junge, ran an die Weiber!" Günter Hendel, Regisseur und Drehbuchautor des Machwerks, glänzt in einer Doppelrolle als alter und junger Porno-Graf.

Der Film, gedreht 1969 in bayerischen und Tiroler Kuhställen, aber auch in Stockholm, Paris und Venedig, spielte Millionen D-Mark ein. Denn das bundesdeutsche Kino bestand damals fast ausschließlich aus weiß-blau karierten Erotikfilmen.

Ausschnitt aus "Der Sex-Agent" (1978)
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Die Sexwelle begann mit selbsternannten Aufklärungsfilmen à la "Schulmädchen-Report", bald aber verschmolzen die Regisseure die Zutaten der altbackenen Heimatfilme mit diversen Altherrenfantasien. Der Lederhosen-Sexfilm, die zotige Erotikkomödie vor Alpenkulisse, war geboren und brachte den Kinos bis Mitte der 1970er-Jahre viel Geld ein.

Die meisten Regisseure von damals sind tot, andere wollen nicht über diese Zeit reden. Günter Hendel sitzt in einem Café in Oberschleißheim in der Nähe von München und lächelt vergnügt. In seinen Filmen spielte der Regisseur oft selbst die Rolle des smarten Playboys, der sich vor Frauen kaum retten kann. Heute sind die Haare schütter, und er trägt ein Hörgerät.

Doch der 93-Jährige schüttelt immer noch routiniert Anekdoten aus den Ärmeln seines Trachtenanzugs. Er hat zum Interview sogar seinen Sohn und seine 18-jährige Enkelin mitgebracht. "Der erste Teil von "Graf Porno" sollte ja zuerst "Gelegenheit macht Triebe" heißen", sagt Hendel und muss noch 48 Jahre später über den Arbeitstitel lachen.

Die Filmlexika führen nur eine Handvoll Regisseure des BRD-Sexfilms. Die Österreicher Franz Marischka und Franz Antel. Gunter Otto und Hans Billian, die mit der Legalisierung 1975 auf Hardcorepornos umstiegen. Oder Siggi Götz, der eigentlich Sigi Rothemund heißt, heute für die ARD gediegene Donna-Leon-Krimis dreht und beharrlich über sein Frühwerk schweigt.

Woher die Scham rührt, ist aus Forschersicht leicht erklärt. "Wenn man diese Filme heute sieht, sind sie einem extrem fremd", sagt der deutsche Filmwissenschafter Georg Seeßlen, der dem Genre das Standardwerk "Der pornographische Film" gewidmet hat. Die Sexklamotten seien "ein reines Übergangsphänomen" gewesen, ein Produkt für ein männliches Publikum, das nach körperlicher Ausschweifung gierte und diese nur im Kino zu sehen bekam. "Von der weiblichen Sexualität ging damals eine unheimliche Bedrohung aus, diese musste sozusagen komisch abgefackelt werden", sagt Seeßlen.

Sexuell bedrängte Kleinbürger

Werke wie "Liebesgrüße aus der Lederhose" oder "Wo der Wildbach durch das Höschen rauscht" bieten vor allem (männliche) Schauwerte und bedienen (männliche) Instinkte: Ein deutscher Spießbürger wird von einer Studentin verführt, ein Arzt von seiner Patientin, Bankiersgattinnen befummeln unmotiviert Briefträger.

Die Filme verschoben Tabugrenzen und sind zugleich bieder. Denn die Macher waren noch dieselben wie im alten Heile-Welt-Kino. Die österreichischen Altmeister Marischka und Antel etwa kamen aus dem Revue- und Schlagerfilm, solide Handwerker, die nach den Küssen des Liebespaars nun nicht mehr schnitten, sondern ihre Protagonisten in sexuelle Abenteuer jagten.

Auch Günter Hendel war schon damals ein altmodischer Mann. In der TV-Dokumentation "Sex-Business – Made in Pasing" des Filmemachers Hans-Jürgen Syberberg aus dem Jahr 1970 trägt der Regisseur stets Anzug und Krawatte. Mit seinen Schauspielerinnen ist Hendel auch dann noch per Sie, wenn er sie bittet, sich auszuziehen.

Er kurbelte seine Filme nicht lustlos herunter, wie es dem Klischee des Sexfilmers entspricht. "Ich musste schwer arbeiten, bis ich es so hatte, wie ich es wollte. Die Mädchen hatten zwar alle Schauspielunterricht gehabt, aber das hatte nichts zu bedeuten." Hendel kam vom Schreiben, in den 1950er-Jahren lebte er von Kriminalromanen. Als ihn der Münchner Sexfilm-Produzent Alois Brummer, ein ehemaliger Spediteur, für "Graf Porno und seine Mädchen" als Regisseur wollte, musste er nicht lange überlegen.

Doch nach drei Filmen, "Eros Center Hamburg" und zwei Teilen "Graf Porno", kam es zum Bruch zwischen Hendel und Brummer. Der Regisseur sagt, weil der künstlerisch ahnungslose Brummer heimlich Szenen dazugedreht hatte. Brummer kann man nicht fragen, er ist 1984 gestorben, nachdem er in seinem Haus in München- Pasing von der Leiter gefal- len war.

Die Blüte des Sexfilms war Mitte der 1970er-Jahre ohnehin vorüber. Mit der Freigabe von Pornos verloren die Nackten, die nur so taten, das Spektakuläre. Hendel drehte 1971 in Jugoslawien den B-Western "Ein langer Ritt nach Eden". Filmkritiker schimpften: "Ein Sexwestern." Hendel sagt: "Ein Kammerspiel."

Allerdings inklusive einer sehr explizit gezeigten Vergewaltigung einer Quäkerin. Für Seeßlen eine genretypische Szene: "Frauen waren in diesen Filmen Sexualobjekte und Monster zugleich." Diese Form des Voyeurismus setzt sich für den Filmwissenschafter übrigens durchaus in modernen "Tatort"-Folgen fort – etwa beim Herzeigen besonders attraktiver Frauenleichen.

Weil es für ihn schwieriger wurde, Kinofilme zu finanzieren, gründete Hendel in den 1970er-Jahren die Synchronfirma Studio 70. Er synchronisierte amerikanische und italienische Spielfilme und TV-Serien, später vor allem für RTL. Heute führt sein Sohn Randy die Geschäfte. Enkelin Zina will Schauspielerin werden. Der Sexfilm-Veteran selbst schreibt heute an einer Autobiografie, 900 Seiten hat er schon getippt.

Ausschnitt aus "Ein langer Ritt nach Eden" (1974)
JohnnyAcropolis

Als Hendel sich bereits dem Synchronisieren zuwandte, drehten Regisseure wie Hans Billian und Gunter Otto noch aufwen-dige Hardcore-Kostümpornos, etwa über die Wiener Prostituierte Josefine Mutzenbacher. Der Schweizer Produzent Edouard Stöckli, genannt Porno-Edi, träumte kühn vom Pornokinosaal der Zukunft, der Düfte verströmt und die Sessel wackeln lässt. Es kam anders. Es kam die Videokassette, und die Pornos hatten bald weder Handlung noch Schamhaare.

Komödien als Legitimation

Mit dem Einzug der Pornografie in die Wohnzimmer ist der weiche Sexfilm so gut wie aus- gestorben. Filmwissenschafter Seeßlen bemüht sich um ein differenziertes Bild dieses vergessenen Kinos. "Diese Filme haben die sexuelle Grundkultur in Deutschland extrem verändert, deswegen bin ich ihnen letztendlich nicht böse."

Bleibt nur noch die Frage, warum der deutsche Sexfilm beinahe gänzlich aus Komödien bestand. Günter Hendel denkt kurz nach. "Es war ein Geschäft", sagt er dann. "Wenn man's lustig macht, kann man zugeben, den Film gesehen zu haben. Die Leute hätten sonst ihr Gesicht hinterm Mantel versteckt und wären an die Kasse gerannt."

Und Seeßlen findet dann doch noch Rudimente des Lederhosenfilms im modernen Kino: "Dieselbe Mischung aus Lust und Angst haben wir heute in den Teenager-Sexfilmen. Nur war damals eine ganze Gesellschaft im Pubertätsfieber." (Lukas Kapeller, 21.2.2016)