Ja, ich gestehe, auch mich lässt die Art und Weise der Begründung der Einstellung ratlos und zweifelnd zurück. Meine öffentliche Einschätzung muss ich hier nicht wiederholen, Werner Winterstein hat den Kern der Kritik getroffen, die uns alle, die Verantwortung für die Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften tragen, in der letzten Woche genug zu denken gegeben hat.

Ja, ich gestehe, es ist ein unerträglicher Fehler geschehen, der sich nicht mehr aus der Welt schaffen lässt. Mehr noch, dieser Fehler wird zum Merkmal der Tätigkeit der Staatsanwaltschaften genommen und verdeckt damit die viele gute, ja auch ausgezeichnete Arbeit dieser Staatsanwaltschaften. Und hier möchte ich auch Werner Winterstein zu bedenken geben, dass ein System, das Fehler, insbesondere bei Wahrnehmung der von ihm eingeforderten größtmöglichen sprachlichen Sorgfalt, verlässlich verhindert, noch nicht gefunden wurde.

Fehler unterlaufen unabhängig davon, ob sich das System durch Unabhängigkeit der einzelnen Akteure oder durch Weisungsbindung auszeichnet. Richtig daher der Ansatzpunkt einer inhaltsorientierten Fachaufsicht, die etwa bei Gerichten gar nicht möglich wäre. Die Vorzüge des hierarchischen Systems müssen natürlich auch "gelebt" werden – eine Einstellung in diesem hochsensiblen Bereich bedarf daher stets der kontrollierenden Sicht der Leitung bzw. Gruppenleitung auf Ebene der Staatsanwaltschaften.

Werner Winterstein übt Kritik an der Architektur des Ermittlungsverfahrens und meint, der Kompetenzbereich unabhängiger Richter sei beschnitten worden. Man kann auch das Gegenteil vertreten: Gerade durch Einrichtungen wie den Antrag des Opfers auf Fortführung und jene des Rechtsschutzbeauftragten wird eine möglichst umfassende Kontrolle der Gerichtsbarkeit über die Staatsanwaltschaften ermöglicht. Abgesehen davon: Hat es nicht auch bereits als unerträglich kritisierte Freisprüche der unabhängigen Gerichtsbarkeit gegeben?

Frage der Verantwortung

Was nun die Verantwortung der Weisungsspitze betrifft, so ist diese in den letzten Jahren oft genug der Einflussnahme gescholten worden. Auch in Reaktion darauf, aber eben auch der verstärkten gerichtlichen Kontrolle geschuldet, versucht man in Gestaltung der Berichtpflichten den Staatsanwaltschaften ein höheres Maß an Eigenständigkeit zu gewähren, was natürlich auf Ebene der einzelnen Behördenleitung auch erhöhte Verantwortung mit sich bringt. Auf der anderen Seite wurde eben ein Weisungsrat geschaffen, um auch transparent die Mutmaßungen von unsachlicher Einflussnahme seitens der Weisungsspitze zu zerstreuen.

Also, mit Systemkritik ist es nicht getan. Natürlich müssen wir danach trachten, besser zu werden, um derartige Fehltritte, die Betroffenheit und Empörung nach sich ziehen, zu vermeiden. Werner Winterstein zeigt selbst den Weg auf – es geht nicht um Verdünnung der Verantwortung, sondern um deren Wahrnehmung auf der richtigen Ebene. Wir müssen hier schon in der Ausbildung und laufenden Fortbildung ansetzen, wofür die Meinung von Werner Winterstein Lehrmaterial bietet. Natürlich machen wir uns auch Gedanken darüber, wie wir das System der Fachaufsicht in einem Bereich, der breites zeitgeschichtliches Wissen und sprachliches Einfühlungs- und Differenzierungsvermögen voraussetzt, effizienter gestalten können.

Zum Schluss: Auch wenn ich die Systemkritik nicht teile, möchte ich Werner Winterstein danken – seine Meinung sollte Anlass genug sein, sich in den Staatsanwaltschaften und ihrer Führungsebene reflexiv, insbesondere mit dem Verhältnis Sprache und Recht und den Auswirkungen einer fehlgeleiteten Begründung, auseinanderzusetzen. (Christian Pilnacek, 18.2.2016)